Gentlemen! Welcome to fight club
Die Franzosen sind da!
Ich wache vom Lärm vor meiner Tür auf: Die Franzosen sind da! Und sie stellen sich gerade offenbar meinen beiden deutschen Mitbewohnerinnen Sara und Verena vor, die auf Francescos Ratschlag hin nach der gestrigen fiaccolata schon früh zum Markt an der Piazzale Umbria Jazz mit der Minimetrò gefahren sind um Obst und Kräuter für die Küche zu besorgen. Also nichts wie raus aus dem Bett, umziehen und rausfinden, wer am heiligen Samstagmorgen vor meinem Zimmer steht und mich weckt. Ich lerne Anaïs und Rémi beim Frühstück in der Küche kennen, während Verena den neu erworbenen Rosmarin in die Blumenkästen vor unserem Küchenfenster einpflanzt. Die beiden (und insbesondere Anaïs) sprechen durch ihr Studium deutlich besser Italienisch als wir, weswegen wir nach wenigen Minuten ins Englische wechseln. Aber immerhin: Ein paar Minuten fast schon flüssige Konversation auf Italienisch!
Ich kehre zurück in mein Zimmer um etwas aufzuräumen, doch kurz darauf klingelt es erneut an der Tür: Es ist allerdings weder die von Francesco für „fast jeden Samstag“ angekündigte donna delle pulizie (also eine Putzhilfe), noch die (wie ich es zuerst verstand) donna della polizia (was dann vermutlich eine wöchentlich vorbei schauende Polizistin gewesen wäre…) sondern offenbar eine Deutsche, denn an der Tür, die Sara bereits geöffnet hatte, wird deutsch gesprochen. Ich hoffe kurz, dass nicht noch eine weitere deutsche Studentin einziehen wird – natürlich nur aus Sorge um die Internationalität der WG – stelle dann allerdings schnell fest, dass sie nur mit ihrem (tatsächlich in Aachen Luft- und Raumfahrttechnik studierenden) Freund auf der Durchreise ist. Sie heißt Hannah, hat das letzte Wintersemester in Perugia verbracht und wollte nur eben die neuen Bewohner ihrer ehemaligen WG kennenlernen. Francesco, den sie „FRA, the Boss“ nennt, hinterlässt sie eine kurze Nachricht auf der Tafel in unserer Küche: „Facciamo un casino?“ (etwa: Machen wir ein Tohuwabohu/Durcheinander?).
Wir haben schon festgestellt, dass casino anscheinend Francescos Lieblingswort ist: Im Prinzip ist es nur ein Slang-Wort für ein großes Chaos, bei uns dient es aber die meiste Zeit als Beschreibung für die Küche. Sein Lieblingssatz ist übrigens offenbar A dopo (also: Bis dann): das ist nämlich das, was man meistens von ihm hört, wenn er nur kurz in die Küche kommt um ein Glas Kraneberger zu trinken und sich dann schon wieder telefonierend zu verabschieden. Was genau Francesco beruflich macht, ist für uns alle nach wie vor ein Rätsel. Wir fragen Hannah, sie lacht verständnisvoll und lange und meint dann „irgendwas mit Mediendesign“. Okay, wir werden ihn heute Abend wohl mal fragen: Da will er nämlich für uns kochen. Hannah verabschiedet sich von uns, wir wünschen den beiden noch alles Gute für Ihre Reise zurück nach Deutschland im alten VW-Bus und lassen uns noch von ihr vor dem Winter in Perugia und insbesondere der kalten Wohnung warnen: Es soll deutlich kälter werden als man es erwartet, die Heizung macht manchmal Mucken, es soll windig sein (in der Wohnung bei geschlossenen Fenstern, wohlgemerkt) und dicke Pullis seien auch mehr als ratsam. Hui. Kälter wurde es in den letzten beiden Wochen tatsächlich schon in Perugia: Inzwischen sieht man kaum noch abends (bzw. nach deutschen Verhältnissen, eher nachts) Menschen auf den scalette, die sich keinen Pullover oder keine Jacke mitgenommen haben. Winter is coming.
Francesco hatte angekündigt, am Dienstag unsere Miete einzusammeln und es dauerte bis zum Freitag, bis er sie tatsächlich einforderte. Folglich erwarten wir nicht, dass es um 8 (wie von ihm angekündigt) Essen geben wird und er nicht vor halb 9 eintrudeln wird. Um Viertel nach 8 bin ich erwartungsgemäß die erste Person in der Küche, hole mir etwas zu trinken und lese meine geliebte Zeit aus dem Digital-Abo. Essen wird es nach einer kurzen Überschlagsrechnung nicht vor 10 geben. Ich werde damit tatsächlich Recht behalten: Francesco betritt gegen viertel vor 9 die Küche und kocht Nudeln mit Hackfleisch in Sahnesauce für die anderen bzw. Zucchini in Sahnesauce für mich. Auf jeden Fall ganz lecker, aber jetzt auch nicht die große italienische Küche, die ich mir erträumt hatte. Aber cool, dass er eine extra Portion Nudeln ohne Fleisch für mich gekocht hat und dass wir überhaupt zusammen essen: Anaïs und Rémi hatten ein bisschen Zeit sich von ihrer Anreise zu erholen und erzählen nun von der Normandie, aus der sie beide kommen. Wir sitzen bestimmt zwei Stunden zusammen und lassen uns von Francesco noch erklären, warum es auf den scalette nur Bier in Plastikbechern und Wein in PET-Flaschen gibt. Und den Küchenplan. Prinzipiell hatte er uns den zwar schon einmal erklärt, aber gerade für unsere französischen Mitbewohner erklärt er diesen sehr gerne noch einmal: Die letzten Franzosen, die in der WG wohnten, hätten wohl häufiger mal ein casino in der Küche gemacht und dieses hinterher nicht wieder aufgeräumt, wie er uns zuvor schon mindestens drei Mal berichtete. Aus dem gleichen Grund hat er es uns auch gleich ausgeredet, einem befreundeten Spanier das letzte Zimmer anzubieten: Anscheinend hatte er mal schlechte Erfahrungen mit Spaniern. Doch dazu später mehr… Diesen Abend gehen wir nicht mehr raus: Morgen wollen wir früh aufstehen und Richtung Assisi wandern.
Torta al Testo am Tiber
Ganz so früh wie gedacht, hat’s zwar nicht geklappt, aber gegen 11 sind wir dann tatsächlich aufgebrochen: Vorbei an der Fontana Maggiore, durch die mittelalterlichen Straßen raus aus dem centro storico, an der Sprachschule CLA vorbei und rein in die ländlichen Außenbezirke der Stadt. Nach kurzer Zeit erreichen wir (leider doch nicht ganz unbefahrene) Landstraßen und Pfade zwischen den Weinbergen und lassen uns von dem am Wegesrand wachsenden wilden Wein sowie den vielen Feigenbäumen beköstigen. Am frühen Nachmittag überqueren wir den Tiber und legen eine Pause an seinen Ufern ein. In einem kleineren Restaurant wird draußen gefüllte Torta al Testo serviert, eine Umbrische Spezialität bestehend aus einem mit Zutaten nach Wahl gefüllten, im Steinofen gebackenen, längs aufgeschnittenen Weizenfladen. Wir bestellen Wein, besagte Torta al Testo und Bruschetta: Der Hammer! Verwunderlich ist nur, dass auf den Bruschette teilweise Leberwurst statt der gewohnten Knoblauch-Tomaten-Olivenöl-Kombination ist. Scheint auch so ein umbrisches Ding zu sein. Während unserer Pause stellen wir fest, dass der Weg nach Assisi noch einmal mindestens doppelt so lang wäre (und bergauf ginge), was bei meiner bebirkenstockten Wanderkameradschaft nicht sonderlich gut ankommt. Wir entschließen uns, noch etwas am Tiberufer entlang zu laufen und dann gegen frühen Abend wieder den Heimweg in Form eines Zuges aus Ponte San Giovanni anzutreten: Die Wanderung nach Assisi wurde vertagt aber nicht abgesagt: Sollte das Wetter mitspielen, wollen wir bald den Rest des Weges nachholen.
Zurück in der WG angekommen, beginnen wir sofort mit der Vorbereitung des Abendessens. Es soll Ofengemüse geben, allerdings sieht der Ofen das leider anders. Der Gas-Ofen will nicht wirklich warm werden und die Zeit drängt: Für heute Abend haben wir uns zum Open-Air Kino im Park Giardini del Frontone verabredet. Zur Vorstimmung auf den Film Bohemian Rhapsody hören wir zusammen mit den Franzosen und unserem vietnamesischen Mitbewohner Long in der Küche laut Queen. Als endlich die Kartoffeln zumindest so gar sind, dass man sie ohne Zahnschmerzen zu bekommen essen kann, ist eigentlich schon der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns Richtung Kino bewegen wollten. Wir vertilgen also in Windeseile das halbgare, aber dank dem frischen Rosmarin dennoch sehr gut schmeckende Gemüse und rennen anschließend zum Kino. Der Film gefällt uns allen sehr gut – bis zu dem Punkt, an dem es anfängt zu regnen. Das erste mal seit meiner Ankunft regnet es, aber dafür gleich wie aus Kübeln. Die meisten der Zuschauer des Films verlassen vorzeitig ihre Plätze, denn die wenigsten haben daran gedacht, sich einen Regenschirm mitzunehmen. Ich habe meinen im letzten Jahr in Aachen liebgewonnenen Regenschirm natürlich nicht dabei und bin selbstverständlich auch nicht bereit, mich ca. 20 Minuten vor Ende des Films auch nur irgendwo anders hinzubewegen. Am Ende des Films bin ich nass und durchdurchgefroren, aber doch zufrieden: Könnte ja schlimmer sein. Und ganz witzig war‘s dann eigentlich ja auch.
Eine Dreiviertelpizza mit Beilage zum Frühstück
Für den nächsten Morgen haben wir uns vorgenommen, vor unserem Sprachkurs die Mensa zu testen. Nach dem anstrengenden letzten Tag spare ich mir also das Frühstück, schlafe aus und verlasse erst mittags die Wohnung. Auf mich wartet die komplette Überforderung in der Mensa: Kaum in der (einen) Essenschlange (für alle) angekommen, werde ich vom hektischen Mann an der Essensausgabe gefragt, welche der fünf zur Wahl stehenden Nudelsorten ich denn gerne hätte. Eine kurze Nachfrage ergibt, dass angeblich alle mit Fleisch oder Fisch sind und ich mich jetzt bitte entscheiden sollte. Na toll. Ich sage, dass ich dann keine Nudeln möchte und werde verwundert angeschaut: Anscheinend ist der Vegetarismus in Italien und insbesondere Umbrien noch nicht ganz so üblich wie in Deutschland. Dass die Hauptgerichte alle irgendein anderes Fleisch sind, hatte ich mir fast gedacht. Ich lasse mich also mit einer Beilage aus ca. 10 eingelegten Paprikastreifen beglücken und stehe dann blöd in der Ecke, bis mir eine hilfsbereitere Frau der Essensausgabe sagt, dass ich auch einfach drei Viertel einer Pizza als Hauptgang wählen könnte. Warum nicht gleich so? Am Ende zahle ich aus mir unbekannten Gründen für mein ungewohntes, aber nicht weniger schmackhafte Frühstück mehr als das Doppelte als die anderen unserer Gruppe. Für das nächste Mal lade ich mir auf jeden Fall vorher die App der Mensa runter, in der man schon vorher nachlesen kann, was es geben wird und wie ich es kombinieren muss um auf den Standardpreis für Studierende zu kommen. Das wird es wohl einfacher machen, etwas Gutes zu finden, denke ich.
Nach vier Stunden Sprachkurs bin ich komplett gerädert und heitere mich erstmal mit einem gelato von einer mir noch nicht bekannten Eisdiele auf, bevor ich mit der Minimetrò zum Sport fahre: Die Boulderhalle befindet sich außerhalb der Innenstadt und lässt sich mit der Minimetrò erreichen, die ein bisschen an eine Achterbahn zum darin Stehen erinnert und im Zweiminutentakt jeweils knapp 20 Personen bis zur Piazzale Umbria Jazz bringt. Eine der Haltestellen ist übrigens der Hauptbahnhof. Erinnerungen an meinen etwas holprigen Aufstieg am ersten Tag werden wach: Heute Nacht werde ich den gleichen Weg noch einmal gehen müssen, denn nach 9 Uhr fährt die Minimetrò nicht mehr und Busse fahren auch nicht mehr.
Beim Bouldern lerne ich Fabrizio, den Hallenbesitzer, kennen: Er ist anscheinend immer da und hilft mit guten Ratschlägen (Piede destro, piede destro!, Rechter Fuß, rechter Fuß!) wo er kann. Die Halle ist recht klein, tatsächlich die kleinste, die ich bisher gesehen habe. Alle scheinen sich hier sehr gut untereinander zu kennen; vermutlich sind es immer die gleichen 30 Leute, die hier bouldern gehen. Es gibt sogar eine Speed-Kletterwand. Sobald ich etwas öfter hier gewesen sein werde, werde ich mir mal erklären lassen, wie der ganze Spaß funktionieren soll. Bis dahin bouldere ich die Probleme (die alle ganz anders als die in Aachen und Dortmund geschraubten Routen sind) durch und lasse mir von Fabrizio die italienischen Vokabeln für Klimmzüge, Heel-Hooks und Dehnübungen beibringen. Am Ende lerne ich noch Leonardo kennen, der anscheinend beeindruckt davon war, dass ich sein Projekt von letzter Woche geflasht (also im ersten Anlauf geschafft) habe. Scheint ein netter Typ zu sein. Nach einer kurzen Dehn-Session mache ich mich auf den 50-minütigen Rückweg, hoch ins Stadtzentrum zurück.
Vollkornbrot im fight club
Die meisten der Teilnehmenden meines Italienischkurses sind Chinesinnen, dann kommen spanische und portugiesische Muttersprachler, dann die Deutschen. Der Kurs ödet mich zunehmend an: Die Inhalte und Aufgaben hatte ich im letzten Semester schon, die Chinesinnen sind top in Grammatik aber wirklich nicht leicht zu verstehen und die Spanier reden (nach eigener Aussage) eigentlich nur Spanisch mit leichten Anpassungen was Aussprache und Grammatik betrifft – ich würde es dennoch Spanisch nennen – und hoffen verstanden zu werden. Klar, dass die in den B1-Kurs kommen: Verstehen und ausdrücken können sie eigentlich alles, aber sie zu verstehen ist dann doch ein bisschen tricky. Als ich nach Ende des Kurses den barocken Hörsaal im Palazzo Gallenga Stuart verlassen möchte, fragt mich unsere Lehrerin Maria Christina, ob ich nicht einen anderen Kurs besuchen wollte: Jackpot, ja! Ab morgen werde ich im Kurs „B1+“ unterrichtet werden.
Ich unternehme einen kleinen Einkaufstrip durch die Stadt und besorge mir ein paar neue Flipflops, denn für das Wochenende planen wir, nach Ancona ans Meer zu fahren und meine für den Jakobsweg erworbenen superleichten Badelatschen sind leider vor zwei Tagen dem Zahn der Zeit erlegen. Außerdem finde ich noch eine kleine Eck-Bäckerei, in der es wohl pasticceria viennese gibt, also süßes Wiener Gebäck: In der Hoffnung dort ein Vollkornbrot zu finden, erkläre ich der Verkäuferin mit vermutlich doch eher ungewöhnlichen Beschreibungen, was für ein Brot ich suche: Im Prinzip nur eins, das nicht nur aus gefärbter Weizenpappe besteht und nach 2 Tagen steinhart wird. So war es nämlich mit dem letzten „Vollkornbrot“, das ich mir in einer italienischen Bäckerei hatte andrehen lassen. Ich finde letztendlich sogar etwas, was einem deutschen Vollkornbrot einigermaßen nahe kommt. Nicht perfekt, aber definitiv ausreichend gut. Hier muss ich nochmal hinkommen. Auf dem Rückweg treffe ich noch Sophie, die letzte Woche Verena bei der Wohnungsbesichtigung half. Sie berichtet mir, dass später alle zum Sprachtandem ins Pinturicchio, eine kleine, moderne Kneipe nahe der Ausländeruniversität kämen. Damit steht dann auch meine Abendplanung.
Nach einer guten Portion Ofengemüse macht sich unsere WG (mit Ausnahme von Francesco und Long) auf den Weg zum Pinturicchio (dt. kleiner Maler, gemeint ist Bernardino di Betto Betti, ein berühmter italienischer Maler der Renaissance). Jeder bekommt eine kleine Flagge des Heimatlandes auf die Brust geklebt und los gehts: Wir lernen den Italiener Julius, der bilingual deutsch aufgewachsen ist, und von ihm eine ganze Reihe italienischer Flüche kennen. Die zugehörigen Gesten haben wir uns noch fürs nächste Mal aufgehoben. Außerdem lerne ich Khalid kennen, der Wirtschaft in Perugia studiert, aber anscheinend auch ein Faible für Astrophysik und Klaviermusik hat und mal ein Auslandssemester in Berlin gemacht hat. Seiner italienischen Erklärung, warum die keplerschen Gesetze eigentlich eine musikalische Theorie wären, kann ich nicht ganz folgen. Auf einer Serviette kann ich ihm dann letztendlich aber etwas zu stabilen Orbits in unserem Sonnensystem erklären. Dass das ganze mit Resonanzen des Jupiterorbits und den sogenannten Kirkwood-Gaps zu tun hat, fand er wohl ziemlich cool. Er läd mich ein, die Tage mal bei ihm vorbei zu kommen und ihm nochmal ausführlich davon zu berichten und ein wenig Deutsch mit ihm zu üben, er würde mir dann im Gegenzug auch immer mein Italienisch korrigieren. Er ist wohl in irgendeiner Uni-Gruppe, die sich mit Verbindungen von Astronomie und Musik beschäftigt und nebenbei noch Pianist, weswegen er auch zu Hause ein Klavier stehen hat, das ich wohl auch mal benutzen könnte. Ich werde auf jeden Fall auf ihn zurück kommen!
Später treffen wir auch Giorgio in der Bar, ich habe ihn in der ersten Woche auf den scalette kennengelernt: Er hat ein Auslandssemester in Münster verbracht, spricht Italienisch, Englisch, Deutsch und Französisch und studiert Philosophie. Nach unserer Unterhaltung auf den Treppen über seine Zeit in Münster und Platons Ideenlehre treffen wir ihn inzwischen fast täglich zufällig irgendwo in der Stadt. Heute stellt er uns einen der Barkeeper vor, der tatsächlich auch Deutsch spricht (wer spricht hier eigentlich nicht zumindest ein bisschen Deutsch?!). Wir verquatschen uns mit ihm und kehren erst spät in die WG zurück, die anscheinend in der ganzen Stadt wohl bekannt ist unter dem Namen il fight club, weil es zu der Zeit als hier einige Spanier wohnten anscheinend ziemlich turbulente Partys gegeben haben soll. Aha! Deswegen mag Francesco also keine Spanier.
Ein Aperitivo im Umbrò
Der Kurswechsel hat sich gelohnt! Der Kurs ist kleiner und das Tempo ist etwas schneller, auch wenn die Inhalte bisher noch die selben sind. Das Buch, das ich für den anderen Kurs kaufen musste, konnte ich sogar noch einer Person aus dem anderen Kurs weiterverkaufen, die sich noch nicht darum gekümmert hatte. Supi! Nach dem Kurs planen wir vor dem Unigebäude unsere Reise mit dem Flixbus nach Ancona und suchen uns Angebote für eine Unterkunft in der Nähe der schönsten Strände raus. Die Bilder, die dabei im Internet angezeigt werden, sind wirklich traumhaft: Klares, blaues Wasser, weiße Felsen an der Küste und steile, grün bewachsene Klippen. Das Wochenende wird super! Wir machen uns auf zum Caffè Umbrò zum Aperitivo: Für kleines Geld gibt es hier ein Getränk und anschließend ein Buffet mit allem, was man sich nur antipasti-mäßig vorstellen kann. Dabei sind auch ein paar Brasilianer und Türken aus unserem Kurs, die von zuhause berichten. Sie sprechen besser Italienisch als Englisch, was das Italienisch-Lernen für alle anderen deutlich vereinfacht, da man nicht früher oder später ins Englische wechselt. Der Abend endet damit, dass wir uns gegenseitig Wörter aus der eigenen Muttersprache präsentieren und beibringen. Wer hätte gedacht, dass das wunderschöne Wort Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz auch gut bei brasilianischen Juristen ankommt?
Risotto und K-Pop
Jetzt habe ich raus, wie die Mensa funktioniert: Man schaut sich am besten vorher schon an, was es an dem Tag geben wird und wählt zwischen drei verschiedenen Menüs: das Standard-Menü beinhaltet eine Vorspeise (primo, also meist Nudeln oder Risotto) mit Salat oder Dessert, dazu eine Beilage (contorno) wie eingelegtes oder gebratenes Gemüse, ein Stück Brot und ein Getränk. Alternativ kann man auch statt der Vorspeise eine Hauptspeise (secondo, gleichbedeutend mit einem Stück Fleisch) oder beides wählen, was dann entsprechend teurer ist.
Nach dem Kurs planen wir weiter an unserem Wochenend-Trip an die Adria. Als wir wieder zurück in die Wohnung kommen, hören wir laute Musik aus der Küche: Long tanzt zu irgendeinem K-Pop-Lied. Zur Erklärung für alle, die über 30 sind: K-Pop ist ein weit gefasstes Musikgenre aus Korea, das am besten mit koreanischer Pop-Musik übersetzt und beschrieben werden kann. Charakteristisch sind dabei die choreografierten Tänze der Boy- bzw. Girlgroups. Und anscheinend ist das auch ein vietnamesisches Ding. Zumindest hat Long mal einen Tanzkurs dafür in Hanoi besucht und macht deswegen seine Sache auf jeden Fall überzeugend, ganz zur Freude von Anaïs und Rémi. Heute Abend werden wir nicht lange auf den scalette bleiben (wo wir wieder kurz auf Giorgio treffen), denn morgen geht es früh los nach Ancona an den Strand.
Ancona: Sonnenaufgang und Bouldern überm Meer
Wir stehen früh auf und machen uns auf den Weg zur Minimetrò, denn an der Piazzale Umbria Jazz erwartet uns unser Flixbus in Richtung Ancona. Unsere Gruppe wird sich in zwei kleinere Gruppen aufteilen, sobald wir dort angekommen sein werden: Eine Gruppe wird nach Sirolo weiter reisen, wo die größeren Strände sind, während ich mich zusammen mit Sara und Hannah nach Pietralacroce aufmachen werde. Lukas hat Spaß am „hitchen“, kurz für hichhiking, also per Anhalter fahren und wird versuchen, direkt zu unserer gebuchten Unterkunft in unmittelbarer Nähe der felsigen Klippen zu kommen. Wir erreichen unser Airbnb früher als erwartet und Pietro, ein netter Italiener mit Fliegerbrille und Assassin‘s Creed-Shirt lässt uns schon mal rein, während er noch ein wenig die Wohnung durchfegt. Er hat sogar etwas für uns eingekauft: Im Kühlschrank befinden sich Joghurt und O-Saft und auf dem Tisch diese verdammt geilen Italienischen Frühstücks-Butterkekse. Schmacko. Nach einer kurzen Tour durch die Zimmer und einer Erklärung, wo wir die besten Strände fänden, lässt er uns allein und bietet uns vorher noch an, morgen Frühstück für uns zu holen: Na klar, gerne!
Kurz darauf erreicht auch Lukas unsere Unterkunft und berichtet von seinen Erfahrungen beim Trampen. Ein Pärchen, dass ihn mitgenommen hätte, sei wohl „ziemlich durch“ gewesen. Gut, dass ich nicht dabei war, denke ich mir. Der Flixbus war voll okay und hat nur 6€ gekostet. Wir entschließen uns, zu dem Strand aufzubrechen, den Pietro als ein bisschen abenteuerlich beschrieben hatte. Er sollte Recht behalten. Nach einer Minute suchen, haben wir einen Eingang zu einem Pfad durch die Vegetation runter zum Meer gefunden, das mindestens 150 Höhenmeter weiter unten liegt. Der Pfad ist nach den ersten paar Metern dann doch besser ausgebaut als wir dachten aber dennoch ziemlich steil. Nach 20 Minuten Wanderung erreichen wir die Bucht, die Pietro beschrieben hatte. Es ist wirklich fantastisch! Die Sonne ist inzwischen irgendwo hinter den Bergen der Region Marken verschwunden. Wir entschließen uns, im Schutz der großen Felsen ins Wasser zu gehen, immer in der Hoffnung, nicht auf einen Seeigel zu treten. Wir haben zwar keine gesehen, aber man weiß ja nie. Nach einiger Zeit im Wasser und (wie sich herausstellen sollte) wirklich beeindruckenden Unterwasser-Aufnahmen mit meiner neuen Actionkamera, treten wir den Rückweg an: Wir wollen einkaufen gehen und möglichst bald noch ein günstiges Restaurant finden.
Nachdem wir uns mit gutem Käse, Wein und Honigmelonen ausgestattet haben und die Einkäufe zurück gebracht hatten, machen wir uns auf zu einem günstigen Restaurant namens L‘orizzonte, das uns vom Kassierer empfohlen wurde. Das Essen ist tatsächlich wirklich gut und nicht zu teuer und zum Schluss gibt‘s sogar noch Limoncello aufs Haus. Super Tipp vom Kassierer! Zurück in unserer ungewohnt luxuriös eingerichteten Unterkunft, spielen wir noch Wer-bin-ich (ich war Meister Proper und bin natürlich als letzter darauf gekommen) und wir nehmen uns vor, morgen früh den Sonnenaufgang über dem Meer zu beobachten.
Ich werde vom Treiben in der Wohnung wach: es ist kurz nach 6 und wir gehen tatsächlich los, um uns den Sonnenaufgang anzuschauen. Verrückt, ich war fest davon überzeugt, dass wir den Plan letztendlich wegen akuter Anflüge von Müdigkeit über Bord werfen würden. Die Morgendämmerung hat schon begonnen, aber ansonsten ist es ganz still. Wir verlassen das Haus und rennen zu einem Aussichtspunkt, den wir gestern durch Zufall bei unserem Weg zum Strand gefunden haben und sitzen bestimmt eine Stunde da und starren in den Horizont. Langsam erwacht um uns der Wald, die Vögel beginnen zu zwitschern und immer mehr Insekten beginnen um uns herum zu schwirren. Ich weiß nicht, von wie vielen Insekten ich schon in den letzten zwei Wochen gestochen wurde, aber jetzt kommen nochmal mindestens 10 neue Stiche dazu. Das wäre echt nicht nötig gewesen, war es aber doch wert.
Nach Erklärungen meinerseits zur Rayleigh-Streuung und der Farbe der Sonne im Laufe des Tages, kehren wir zurück und schlafen nochmal zwei Stunden. Als wir aufwachen, hat Pietro tatsächlich schon Frühstück geholt: Es gibt Croissants mit Marmelade und Apfeltaschen sowie ein paar weitere Frühstückskekse. Wir packen unsere Sachen und machen uns auf den Weg zum nächsten Strand, der sogar auf dem Weg zum Bahnhof von Ancona liegt. Wir gehen erneut einen ähnlichen Pfad herunter zum Meer, das jetzt allerdings herrlich blau in der prallen Sonne glitzert. Wir gehen immer weiter an der felsigen Küste entlang, bis es nicht mehr weiter geht und auch keine braungebrannten dicken Italiener mehr vor ihren kleinen Holzhütten am Meer sitzen. Wir verweilen etwas und ich versuche, doch irgendwie (ohne Rucksack und sonstigen Ballast) an den Felsen über dem Wasser weiter zu kommen. Das Bouldertraining macht sich bezahlt und ich erreiche nach einer längeren Traverse direkt über dem Meer eine versteckte Bucht mit ein paar Höhlen, in denen das Wasser so sehr hin- und herpeitscht, dass es lauter grollt als irgendein Subwoofer, den ich bisher gehört habe. Ich kehre an den großartigen Klettergriffen aus vom Wasser glatt gespültem Fels zurück und frage, ob mich jemand bei einer weiteren Erkundungstour (jetzt aber mit Actionkamera) begleiten möchte. Anscheinend sieht die erste Kletterpartie der Strecke aber doch zu abschreckend aus, weswegen ich nochmals alleine den Weg zurücklege. Hier könnte man wirklich viel Zeit mit Klettern verbringen! Leider müssen wir weiter zum Bahnhof, deswegen kehre ich nach ein paar Aufnahmen von mir beim Klettern zurück und wir gehen durch das Zentrum von Ancona, vorbei am Hafen, von dem aus Fähren nach Kroatien und Griechenland starten, zum Bahnhof – natürlich nicht, ohne das Eis in Ancona probiert zu haben.
Die letzte Woche war wieder absolut einmalig. Ich bin gespannt, was die nächste Woche bringen wird. Auf dem Plan stehen jedenfalls der Geburtstag von Rémi, die Welcome week des Erasmus Student Networks ESN in Perugia und so etwas wie ein Tag der offenen Tür der Fakultät für Physik und Geologie, den ich mir zur Orientierung mal anschauen möchte. Am 27. ist dann auch noch der globale Klimastreik: Ich bin gespannt, wie viele Perugini dabei sein werden. Eine Gruppe von daran interessierten Austausch-Studierenden habe ich jedenfalls schon mal gefunden.