TTT – Trüffel. Trampen. Tunnel.

Faustschläge, Greifenmilch und Trüffel

So langsam macht sich der Uni-Alltag breit: Vorlesungen und Essen in der Mensa mit meinen neuen Kommilitonen gehören damit zum Tagesprogramm. Nach unserer Dinamica del Modello Standard-Vorlesung zum Higgs-Mechanismus gehe ich mit Noemi, Lorenzo und Gabriele in die Mensa. Durch Noemis Beobachtung, dass unser Dozent sich anhört wie der italienische Synchronsprecher (il doppiatore) von Berry Kripke aus der Serie „The Big Bang Theory“ kommen wir auf die verschiedenen italienischen Dialekte zu sprechen. Die drei sind alle aus Umbrien bzw. der Toskana und dadurch im Allgemeinen ziemlich gut zu verstehen. Der umbrische und der toskanische Dialekt sind beide sehr nah am Standard-Italienisch. Die drei geben sogar zu, dass auch sie manchmal Probleme dabei haben Francesco zu verstehen, da dieser aus Calabrien kommt und auch entsprechend spricht. Zusammenfassend kann man sagen, dass das im Süden Italiens gesprochene Italienisch verwaschener und damit eher unverständlich ist. Es gibt sogar eine Zeitform, die ausschließlich in Süditalien (und in der Literatur) verwendet wird: Das passato remoto. Aktuell kämpfe ich noch damit, es korrekt als solches bei Francesco zu erkennen. Von den Menschen hier aus der Gegend wird es im Alltag zumindest nicht verwendet. Glück gehabt. Wir sprechen noch ein bisschen darüber, wer welche Musik hört und macht und verlegen dann das Gespräch vor die macchinetta. Nach guten zwei Stunden Mittagspause geht es dann weiter im Programm: Meine Kommilitonen gehen zur nächsten Vorlesung und ich in die Stadt zum Eisessen, hehe.

Es ist Montagmittag und dementsprechend der beste Zeitpunkt um einen Blick auf das EuroChocolate-Festival zu werfen, das aktuell in Perugia stattfindet und mir bereits an seinem ersten Tag laut und eindeutig gesagt hatte, dass ich mich fernhalten soll, wenn ich keine Lust auf sich durchs Stadtzentrum schiebende Menschenmassen haben sollte. Jetzt aber stehen nur wenige Menschen an den Ständen an und somit gönnen wir uns ein paar Rotwein-Pralinen, die zwar sehr gut aber null komma gar nicht nach Rotwein schmecken. Nach einem kurzen Spaziergang in Richtung Piazza Italia trennen sich unsere Wege und Ariane, Hannah (die gerade aus Neapel zurückgekehrt ist und berichtet) und ich gönnen uns noch ein Eis vom „Grifo Latte“-Stand. Il grifo bedeutet auf deutsch „der Greif“ – das prominenteste Fabelwesen von Perugia. Überall befinden sich Abbildungen oder Statuen von mehr oder weniger großen Greifen, wobei die größeren eher mit il grifone übersetzt würden. „Grifo Latte“ ist entsprechend die hiesige Molkerei, die jedoch trotz des vielversprechenden Namens leider keine Greifenmilch vermarktet.

Nach dem Eis machen wir noch kurz Halt bei einem Stand, der diverse Trüffelprodukte verkauft. Nach mindestens zehn Kostproben habe ich mich dann endgültig davon überzeugen lassen, dass mir neuerdings neben Oliven auch Trüffel schmecken und habe gleich ein Glas Märztrüffel in Sahne genommen, das ich die Tage mal als delikaten Pesto-Ersatz verwenden will. Hat auch nicht viel mehr gekostet als ein normales Pesto. Die Trüffel wachsen hier angeblich überall (ich hab sie noch nicht dabei beobachtet) und haben jetzt Saison. Um das kulinarische Spektakel des Nachmittags gelungen abzurunden, entschließe ich mich dann noch drei Baci zu kaufen. Baci habe ich tatsächlich bisher noch nicht probiert, aber was gäbe es für einen besseren Anlass als das Schoko-Festival in der Stadt? Ich nehme einen klassischen Bacio mit Vollmilch-, einen mit weißer und eine limitierte Edition mit rosa Schokolade, die wohl etwas fruchtig schmecken soll. Die Baci hießen aufgrund ihrer Form ursprünglich cazzotti, also „Faustschläge“. Als man dann kurz später bemerkte, dass es eigentlich schöner ist im Geschäft nach einem Kuss als nach einem Faustschlag zu fragen, hat man die Pralinen kurzerhand umgetauft: Anscheinend mit Erfolg. Später kam man dann auf die Idee, noch Zettelchen mit Aphorismen berühmter Dichter und Denker zu den Pralinen unter die mit Sternen bedruckte Alufolie zu stecken. Ich habe Oscar Wilde, Mahatma Ghandi und Edgar Allan Poe erwischt. Am besten gefällt mir der Standard-Bacio und das folgende Wilde-Zitat:

Io continuo a stupirmi. È la sola cosa che renda la vita degna di essere vissuta.

Ich überrasche mich immer wieder selbst. Das ist das einzige, was das Leben lebenswert macht.

Die wundersame Brotvermehrung

Nachdem ich gerade in der complementi di fisica delle particelle-Vorlesung die Aufgabe bekommen habe, für nächste Woche einen Vortrag zu großen vereinheitlichten Theorien (englisch: grand unified theories, kurz „GUTs“) und Protonen-Zerfällen vorzubereiten, gehe ich jetzt erstmal mit Francesco in die Mensa. Wir berichten uns gegenseitig davon, was wir in den letzten Tagen so getrieben haben und ich erzähle ein bisschen aus Aachen. Als wir bei der Essensausgabe ankommen, fällt mir jedoch auf, dass ich nur einen 50€-Schein im Portemonnaie habe, was wirklich schlecht ist: Anders als an deutschen Mensakassen muss man hier bar und so passend wie möglich zahlen. Als ich beim ersten und diesbezüglich letzten Mal nur einen 10€-Schein dabei hatte wurde ich erstmal böse angeschaut, bis ich dann mein Portemonnaie vor der Kassiererin entleert hatte um zu zeigen, dass ich tatsächlich keine 2€ in Münzgeld dabei hatte. Sie machte mit einem gnädigem Gesicht eine Ausnahme und ich durfte doch noch mit dem Zehner bezahlen. Aber 50€? Das will ich Elisabetta, der von mir favorisierten Mensakassen-Dame, nicht zumuten; immerhin grüßt sie immer nett, spricht Flo und mich mit Vornamen an und quatscht ab und zu noch ein paar Worte mit uns. Aber zum Glück ist ja Francesco auch noch mit dabei: Er bietet mir an, dass wir uns einfach seine Portion teilen. Das hatte er schon mehrfach vorher gemacht und ich war mir nie ganz sicher, wie ernst er es meinte. Aber anscheinend meint er es genauso wie er es gesagt hatte. Also teilen wir uns Antipasti, Nudeln und Bohnen und berichten uns weiter von unseren bisherigen Heldentaten.

Zum Schluss bietet mir Francesco noch an am Wochenende mit nach Chiusi della Verna zu kommen, wo der heilige Franz von Assisi nach vierzehntägigem Fasten stigmatisiert, also mit den Wundmalen der Kreuzigung Jesu, aus einer Höhle kroch. Das Ganze soll vermutlich eine Art Gruppen-Wallfahrt sein – eindeutig zu viel für mich. Ich danke für das nette Angebot und lehne vermutlich etwas zu höflich ab, wodurch ich auch in den folgenden zwei Tagen noch von Francesco gefragt werde, ob ich nicht doch Lust hätte mitzukommen. Letztendlich kann ich ihm jedoch trotz noch fehlender besserer Pläne fürs Wochenende erklären, dass ich wohl nicht ganz so überzeugt von der ganzen Heiligen-Geschichte bin wie er es ist. Puh.

Eine lange Kletter-Session

Gestern war ein langer Uni-Tag: Damit wir am Freitag keine Vorlesung haben und schon eher ins Wochenende gehen können, haben wir die QFT-Vorlesung auf gestern Abend verschoben. Dementsprechend bin ich gestern erst ziemlich spät nach Hause gekommen und musste mich erstmal mit Vergleich-Videos von italienischen Dialekten aufheitern, bis ich wieder zu irgendetwas zu gebrauchen war. Aber anscheinend war das nicht erholsam genug: Ich befinde mich gerade auf dem Weg zur nächsten QFT-Vorlesung als mich eine Nachricht von Francesco erreicht, in der er mich fragt, wo ich denn bliebe. Anscheinend hat die Vorlesung schon angefangen, also nehme ich die Beine in die Hand und spute mich. Als ich im Hörsaal ankomme, ist die Tafel allerdings noch komplett leer und die Vorlesung hat noch nicht angefangen, weil die anderen eben auf mich gewartet haben. Super nett, sehr cool.

Die Vorlesung dauert unerwarteterweise nur eine halbe Stunde und es wird angekündigt, dass in der nächsten Woche keine QFT-Vorlesungen stattfinden werden, damit wir die Inhalte der letzten settimama superintensivo nochmal wiederholen können, bevor wir weitermachen. Francesco macht mit mir noch kurz einen Spaziergang zum rettorato (Rektorat) der Uni um mir zeigen, wo es die vergünstigten Minimetrò-Zehnertickets für Studis zu kaufen gibt. Wir decken uns mit Tickets ein, ich wünsche ihm eine schöne Wallfahrt (il pellegrinaggio) am Wochenende und mache mich dann auf nach Hause um mir Nudeln zu kochen. Long hat angeboten, zusammen mit den anderen aus seinem Sprachkurs Bouldern zu gehen – ein Angebot, das ich natürlich sehr gerne angenommen habe.

In der Minimetrò lerne ich Longs Klassenkameraden aus halb Europa kennen: Laura, zwei Elisabeths, Jarno und Ricardo scheinen nett zu sein. In der Boulderhalle angekommen, dolmetsche ich ein wenig zwischen Daniela, Fabrizio und den anderen bis dann auch wirklich jeder passende Kletterschuhe bekommen hat und den Versicherungs-Wisch korrekt ausgefüllt hat. Fabrizio hat mir schon das letzte Mal gesagt, dass er mir eigentlich Rabatt geben sollte, weil ich so häufig mit zahlenden Kunden für ihn aufkreuze. Den Vortrag den er normalerweise für die Anfänger hält, habe ich inzwischen auch schon bestimmt drei Mal für ihn gehalten: Was ist Bouldern? Warum sieht das bei anderen so einfach aus? Und worauf muss ich beim Klettern aufpassen? Mal schauen, wie viele Leute ich noch mitbringen muss, bis er mir tatsächlich Rabatt gibt.

Ricardo hat schon mehrjährige Klettererfahrung aber länger Pause gemacht und dadurch Interesse daran, dass ich ihm ein paar gute Routen in der Halle zeige. Aber gerne. Wir klettern bestimmt drei Stunden lang und auf dem Rückweg hoch in die Stadt lade ich ihn noch ein, später mit zu uns in die WG zum Cards against Humanity-Spielen zu kommen (für alle Ü30er: Cards against Humanity ist ein witziges Kartenspiel, das auf schwarzem Humor basiert). Ricardo ist jedoch zu kaputt vom Klettern und lehnt deswegen ab. Wenn wir fürs Wochenende aber wieder irgendwelche Wandertrips planen, soll ich mich ruhig nochmal melden.

Trampen, Tezio und nochmal Trüffel: Mein Herbstanfang

Gestern beim Kartenspielen in der WG haben wir beschlossen, heute unsere nächste Wanderung zu starten um Pilze im Wald zu sammeln. Das Wetter ist nach wie vor eher sommerlich und sonnenbrillengeeignet, aber gestern hat es nachts ein bisschen geregnet. Also eigentlich ideales Pilzsammel-Wetter. Ricardo schafft es leider nicht mitzukommen, bei ihm ist eine Erkältung im Anmarsch und er will sein Glück nicht zu sehr strapazieren. Ich treffe Lukas und Flo gegen Mittag vor der Ups und wir besprechen nochmal kurz den Plan für heute: An den Stadtrand laufen, von dort aus bis nach Colle Umberto zum Fuße des Monte Tezio trampen, auf den knapp 1000 Meter hohen Berg kraxeln, die Aussicht bis zum Trasimenischen See genießen, Pause machen und dann wieder auf dem gleichen Weg zurück, stets in der Hoffnung, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit noch eine Mitfahrgelegenheit nach Perugia erwischen.

Doch ganz so einfach wie erwartet ist es nicht: Wir stehen bestimmt schon eine Stunde am Straßenrand und unterhalten uns mit den schlimmsten Deutschen Schlagern von Vicky Leandros bis Costa Cordalis als dann doch noch ein Auto für uns anhält. Das Auto ist nicht groß und hat auf dem Rücksitz zwei Hartschalen-Kindersitze mit Kopfstützen im Disney-Design fest installiert. Wir deuten auf unsere Wanderrucksäcke und fragen, wie wir uns verteilen sollen. Der Fahrer antwortet mit Schulterzucken und sagt, dass wir uns einfach auf die Kindersitze setzen sollen. Gesagt, getan. Flo und ich quetschen uns auf den Rücksitz; er mit den Schultern bis zum Dachhimmel und der Kopfstütze seines Kindersitzes in den Rippen und ich in den 20cm breiten Spalt zwischen die beiden Kindersitze geklemmt. Und ab geht die wilde Fahrt. Unser Fahrer drückt ordentlich aufs Gas und heizt mit uns Richtung Kindergarten um seine prinsipescia abzuholen. Wohlgemerkt prinsipescia, nicht principessa (Prinzessin). Wir fragen, woher aus dem Süden von Italien er denn käme – insgesamt spricht er eher nuschelig und so richtig zuordnen können wir seinen Dialekt nicht. Er ist aus Albanien. Deswegen also die prinsipescia.

Beim Kindergarten angekommen, lässt er uns eben im Wagen warten während er seine Tochter abholt. Er nimmt seine prinsipescia auf den Schoß und beschleunigt vom Parkplatz, während er am Radio rumspielt um irgend ein Lied für seine Tochter anzumachen. Und weil er ja nicht an sich schon ein Problem bei einer Polizeikontrolle wegen seiner vielleicht dreijährigen Tochter auf seinem Schoß hätte, gibt er jetzt auf der Landstraße nochmal richtig Gas. Unter der völligen Missachtung jeglicher Fahrbahnmarkierung versteht sich. Die Fahrt ist aufgrund seines Tempos jedoch gottseidank schnell vorbei. Er bringt uns netterweise noch direkt bis zum Fuß des Berges, wir zwängen uns wieder aus dem Auto, danken ihm recht herzlich und wünschen ihm und seiner Prinzessin noch einen schönen Tag und sehen zu, dass wir etwas Abstand gewinnen. Netter Typ, aber ob ich nochmal mitfahren wollte, müsste ich mir nochmal überlegen.

Auf dem Weg nach oben ernten von einem Feigenbaum dessen letzte Früchte für dieses Jahr und kommen an einem kleinen Klettergebiet und einer Höhle vorbei. Ich klettere mit Lukas runter in die Höhle bis es uns ein wenig zu unheimlich wird und wieder zu Flo zurückkehren. Direkt hinter der Höhle befindet sich eine kleine Lichtung, die uns den Blick auf das uns umgebende Tal freigibt: Wir befinden uns knapp zehn Kilometer nördlich vom Stadtzentrum von Perugia und können schon die ersten Lichtreflexionen vom Trasimenischen See sehen. Auf dem Gipfel angekommen, machen wir eine merenda mit den mitgenommenen Mensabrötchen und dem schon leicht säuerlich riechenden Käse. Wir können die Ausmaße des Trasimenischen Sees von hier oben nur erahnen aber riesig ist er auf jeden Fall. Man kann sogar bis an die Grenze zur Toskana schauen. Lange wollen wir hier oben jedoch nicht verweilen. Kühle Luft strömt von der Schattenseite des Grats herauf und lange wird es auch nicht mehr hell sein.

Ein bisschen ernüchtert davon, dass wir auch auf einem anderen Weg zurück nach unten keine Pilze gefunden haben, kehren wir an bellenden Hunden und Olivenbäumen mit inzwischen fast schon reifen Oliven daran zum Eingang des Walds zurück, bei dem wir unseren Aufstieg begonnen hatten. Zum ersten Mal in diesem Jahr rascheln wieder Blätter es an meinen Füßen: der Herbst ist da! Auf dem Parkplatz sehen wir ein Auto stehen mit zwei Menschen darin, die sich vermutlich gerade den Sonnenuntergang anschauen. Wir entschließen uns dazu, einfach mal nachzufragen, ob sie nicht auch bald wieder in Richtung Perugia zurückwollten. Der Fahrer des Autos schaut uns an und überlegt ein bisschen und sagt uns dann leider ab. Seine Freundin und er wohnen wohl nicht weit von hier. Wir wünschen noch einen schönen Abend, drehen uns um und gehen und sind ganz glücklich darüber, dass wir die beiden gerade nicht bei irgendetwas gestört haben, als plötzlich neben uns der Typ mit seinem Auto hält, den wir keine Minute zuvor gefragt hatten, ob er uns nicht mitnehmen könnte. Die beiden haben es sich anscheinend anders überlegt und er bietet uns an, uns zumindest bis nach Colle Umberto mitzunehmen, wo ein Bus fahren würde.

Wir drei setzen uns auf den Rücksitz und unterhalten uns ein bisschen mit den beiden: Francesco (Gibt es hier eigentlich irgendjemanden, der nicht Francesco heißt?) und seine Freundin aus Uruguay sind super nett und entschließen sich kurzerhand sogar noch uns bis zur Piazza Morlacchi, also direkt bis vor meine Haustür mitzunehmen. Wir wünschen den beiden noch viel Erfolg bei den Sachen, die gerade bei ihnen anstehen und von denen sie uns berichtet haben und setzen uns dann noch kurz ins Caffè Morlacchi, bei dem das Klavier steht, das ich eigentlich schon längst mal testen wollte. Wir begeben uns an den Tisch direkt beim Klavier und ich bekomme sofort vom Barrista das Angebot, doch gerne ein bisschen auf dem Klavier zu spielen, wenn ich wollte. Aber sicher will ich. Die fehlende Übung macht sich jedoch sofort bemerkbar. Dass ich Musikstücke nie komplett auswendig gelernt habe, rächt sich jetzt ebenfalls und lässt mich das Klavier nach nur einem halben Maple Leaf Rag schon wieder zuklappen. Bald komme ich mal mit Noten zurück!

Zum Abendessen verabreden wir uns mit Jane, Sophie und Verena sowie ihrem Bruder, der sie gerade besucht, im Bacio. Durch die guten Erfahrungen mit dem Märztrüffel in Sahnesoße als Pesto-Ersatz wähle ich dieses mal Pizza mit weißem Trüffel. Klingt teuer, kostet aber das gleiche wie auch die anderen Pizzen. Der Trüffel schmeckt ein bisschen schärfer und auch irgendwie fischiger. Ob das jetzt ein Qualitätsmerkmal ist oder eher nicht, will ich nicht beurteilen. Lecker war‘s auf jeden Fall. Zurück zuhause angekommen erreicht mich eine Nachricht von Giorgio, der mir auffälligerweise in den letzten beiden Wochen nicht über den Weg gelaufen ist: Ein Freund von ihm plant für morgen eine „ziemlich herausfordernde“ Wanderung in der Nähe von Spoleto. Das Ganze klingt super und ich sage zu. Kurz darauf klopft es an meiner Zimmertür. Es ist Giorgio, der mir noch ein paar Informationen geben will. Anscheinend saß er bei Rémi und Anaïs in der Küche, die gerade wieder eine pre-serata machen, also später noch raus wollen und deswegen mit ein paar Freunden in der Küche vortrinken. Giorgio und Anaïs fragen, ob ich nicht Lust hätte auch noch mitzukommen. Aber das ist heute wirklich nicht mehr drin. Ich falle nach dem tollen aber anstrengenden Tag kaputt ins Bett.

Maronen, Majo und Dunkelheit

Ich steige gut erholt von der gestrigen Wanderung aus dem Bett und begebe mich mit meiner Lieblingsmusik in den Ohren und der GoPro, Crackern, Nutellabroten und Obst im Rucksack zum Bahnhof und somit direkt zur nächsten Wanderung. Die Gruppe, die Giorgio aufgetrieben hat, besteht aus ein paar laufbegeisterten Internationalen aus dem Chor der Ups, an dem auch er teilnimmt, Hannah und mir. Shea ist halb Brite und halb Italiener und hat die Wanderung organisiert und sie letztes Wochenende schon einmal mit seiner Freundin ausgetestet. Mit dabei ist eine bunte Mischung aus Italienern, Deutschen, Russen, Mexikanern und Brasilianern. Auf dem Plan für heute steht die Wanderung von knapp 18 Kilometern durch die Berge, entlang einer alten Bahnstrecke durch insgesamt 8 stockdüstere Tunnel, der Längste davon ganze zwei Kilometer lang, was man ironischerweise wohl als Highlight der Tour bezeichnen könnte.

Im Zug nach Spoleto treffen wir noch zufällig auf Antoni, der sich gerade auf dem Weg nach Rom befindet um dort seine Freundin abzuholen, die ihn besuchen kommt. Er setzt sich zu uns und wir quatschen noch ein bisschen. Hannah hat die wunderbare Idee, einen Gedichte-Wettbewerb anzufangen, in dem es darum geht, wer sich innerhalb von 5 Minuten das schönste Gedicht ausdenken kann. Wirklich schön ist mein Gedicht jetzt nicht geworden, weswegen ich auch darauf verzichten möchte, es hier abzutippen. Das Ganze auf Italienisch zu übersetzen hat der allgemeinen Erheiterung aber auf jeden Fall beigetragen.

In Spoleto ankommen geht die erste Etappe der Wanderung erstmal zum Supermarkt, bei dem wir uns noch mit Bananen und anderen Snacks ausstatten, bevor es dann mit dem Bus weiter in Richtung Sant’Anatolia di Narco geht, von wo es dann endlich losgehen soll. Nach ein bisschen Hin- und Her mit dem Schulbusbetreiber aus Spoleto werden wir direkt bis dorthin gebracht. Glück gehabt, eigentlich gibt es nämlich keine richtige Busverbindung bis dortin.

Beim Aufstieg berichtet Giorgio davon, dass es dieses Jahr tatsächlich ungewöhnlich lange warm ist. Immerhin ist es Ende Oktober und 25 Grad warm. Mal schauen, wann es denn wirklich richtig kalt wird. Mit Erica aus Apulien und Giorgio bespreche ich noch bis wir beim ersten Tunnel ankommen ein paar Besonderheiten der italienischen Umgsangssprache: andarsene und farcela, also „abhauen“ und „etwas schaffen“. Nach einer kurzen Pause vor dem Tunnel, bei dem Daniela riesige, frittierte mexikanische Maiskörner verteilt, die ihr ihre Oma geschickt hat, begeben wir uns in die Dunkelheit: Der Tunnel ist knapp 300 Meter lang und schon nach den ersten 20 Metern sind wir von nichts als Kälte und Düsternis umgeben. Wir packen unsere Handys und Taschenlampen aus und erschrecken uns gegenseitig. Hannah und Giorgio wird es schnell unangenehm während es mich immer weiter in den finsteren Tunnel reinzieht. Ich versuche irgendwie dem Schein der Taschenlampen hinter mir zu entkommen um mich möglichst im Dunkeln durch den Tunnel fortzubewegen, allerdings nicht besonders erfolgreich: der Tunnel ist schon wieder vorbei. Aber egal, es kommen ja noch sechs weitere.

Vor dem nächsten Tunnel trenne ich mich schon etwas früher von der Gruppe und laufe jetzt tatsächlich komplett ohne Licht den knapp drei Meter breiten Gang entlang, der zu meiner Verwirrung leicht nach rechts abknickt, wie ich immer kurz bevor ich in eine Wand reinlaufe am von der Wand reflektierten Klang meiner Schritte bemerke. Auch die folgenden Tunnel üben auf mich die gleiche Faszination aus: Es ist kühl und dunkel und man hört nur die eigenen Schritte. Dass bei den anderen in der Situation ihre Fantasie verrückt spielt ist ziemlich witzig und ich werde auch nicht müde, darauf hinzuweisen was sich da noch so alles unbemerkt im Tunnel auf einen zubewegen könnte. Ganz im Gegenteil: ich finde es super interessant, wie schnell sich das Gehirn an die Situation gewöhnt und man beim Laufen tatsächlich hören kann, wie weit die Wände von einem entfernt sind.

Hinter dem zwei Kilometer langen Tunnel machen wir unsere Mittagspause. Ich habe glücklicherweise einen Jutebeutel dabei und kann unter der Kastanie unter der wir die Rast einlegen noch ein paar Esskastanien sammeln. Ich habe zwar noch nie vorher Maronen gegessen, aber irgendwer wird schon wissen, wie man die zubereiten muss. Ich tippe auf Lukas, der ist bei sowas immer ganz vorne mit dabei. Ohne ihn wären ich wohl auch niemals auf die Idee gekommen, Pilze im Wald sammeln zu gehen bzw. es zumindest auch nur zu wagen. Einen Knollenblätterpilz kann ich jetzt immerhin von Champignons unterscheiden – im Zweifelsfall nicht die schlechteste Kompetenz.

Als wir an einer hohen Brücke ankommen, verwandelt sich der Sonnenuntergang langsam in die Dämmerung, was wir als Gelegenheit für einige schöne Fotos nutzen. Durch die inzwischen hinter uns liegenden Tunnel an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt laufen wir noch bestimmt eine Stunde durch die sternenklare Nacht. Nicht mal Mondlicht ist uns heute vergönnt, es ist Neumond. Ohne, dass irgendjemand umknickt und sich den Fuß verstaucht, erreichen wir schließlich wieder den Bahnhof von Spoleto. Erleichterung und Erschöpfung macht sich nach dem sieben Stunden langen Fußmarsch breit. In der Bar im Bahnhof essen und trinken wir noch eine Kleinigkeit, während wir auf den Zug zurück nach Perugia warten. Im Zug berichte ich Giorgio davon, dass ich jetzt schon eine gefühlte Ewigkeiten keine Pommes Majo mehr hatte, woraufhin er mir eine Pommesbude im Stadtzentrum von Perugia empfiehlt. In der Stadt angekommen, überrede ich ihn, Erica, Hannah und mir zu zeigen, wo sich der Imbiss befindet. Und was soll ich sagen? Ich hätte es wissen müssen… Sie haben so eine kalte, schäbbige, saure Salatmajo auf die Pommes gepackt. Uäh. Ich bleibe also vorerst lieber bei der italienischen Küche und warte noch ein paar Monate auf fette, warme Dorfgrill-Majo.

Den Sonntag habe ich schließlich mit der Vorbereitung der Präsentation für den nächsten Mittwoch verbracht und versucht, mich von der in den Startlöchern stehenden Erkältunsgwelle fernzuhalten, die inzwischen auch die Hälfte unserer WG und auch mich in Form von Halsschmerzen erreicht hat. Der nächste Blogeintrag zu meinem Vortrag, Halloween und dazu, was wir mit den Maronen angestellt haben, erscheint in den nächsten paar Tagen. Bis dahin empfehle ich Musik von Led Zeppelin, Radiohead und Jacob Collier sowie eine gute Tasse Zitronen-Ingwer-Tee. Maacht et joot, ävver nit zo off.

Geschrieben am 1. November 2019