Ich bin dann mal weg
Disclaimer
Ungaeachtet anfänglicher Vorbehalte schreibe ich jetzt anscheinend doch: Die Idee, meine Reise hier zu dokumentieren, kam mir vor einigen Monaten, während ich aus bloßem Jux und Tollerei diese Website hier ins Leben rief. Ursprünglich lediglich gedacht als eine weitere Form der Selbstdarstellung, scheint es mir nun insgesamt doch ein lohnenswertes Unterfangen zu sein, hier aus meinem Leben zu berichten. Ich stelle mir das wie Tagebuchschreiben vor. Nur eben moderner. Und damit auch öffentlicher. Das sollte man vermutlich hinterfragen. Genauso könnte man wohl anprangern, dass diese Form der Selbstoffenbarung auch genau das ist, was der Brite als solcher vermutlich zu Recht als “pathetic” verunglimpfen würde. Ich mach’s trotzdem. So viel zu meinem Abenteuergeist und jugendlichen Leichtsinn. Obwohl oder gerade weil eher ungewohnt, werde ich also dieses Experiment wagen — ergebnisoffen, versteht sich. Und mit dieser Ergebnisoffenheit geht auch einher, dass ich noch nicht sagen kann, ob es gut oder schlecht wird. Das sei dem geneigten Leser als Risiko überlassen.
Mit dem Nightjet nach Perugia
Gerade befinde ich mich im ICE von Dortmund nach München. Überrascht von der Überpünklichkeit des Zugs, von der angenehmen Innentemperatur trotz hochsommerlichen Wetters, von der Stille und Leere in meinem Wagon trotz der von der DB angekündigten „sehr hohen Auslastung” des Zugs und vor allem von der guten Internetverbindung wiege ich mich in der Sicherheit, dass es die richtige Entscheidung war, mit dem Zug und nicht mit dem Flugzeug nach Italien zu reisen. Dass ich unserer Atmosphäre durch meine Entscheidung (laut ÖBB) knapp eine halbe Tonne CO2-Äquivalente erspare, war wohl der ausschalggebende Punkt. Doch zu meinem offensichtlich linksgrünversifften Tendenzen ein andermal mehr.
Ab München werde ich in den Nightjet steigen. Das klingt martialischer als es ist: Beim Nightjet handelt es sich um einen mit Schlafplätzen ausgestatteten Schnellzug, welcher seine Insassen innerhalb einer Nacht von München nach Rom befördert, wo diese dann nach einem kleinen Frühstück gegen 8 Uhr morgens den strahlend blauen italienischen Himmel sehen können. Ich werde schon zwei Stationen eher aussteigen, denn das Ziel meiner Reise lautet nicht Rom sondern Perugia.
Die Chroniken von Narnia und etwas Geografie
Perugia ist eine kleine, mittelalterliche Studentenstadt, welche recht exakt in der Mitte von Italien liegt. Genau genommen stimmt das nicht: der „Bauchnabel Italiens”, der „L’ombelicolo d’Italia“, befindet sich bei Narni, einer umbrischen Gemeinde, ca. 60 km von Perugia entfernt. Fun fact: Narni (lat. Narnia) war tatsächlich namensgebend für die großartigen „Chroniken von Narnia” von C. S. Lewis. Um meinen Freunden vom Ziel meiner Reise zu berichten, war „ziemlich genau in der Mitte von Italien” bisher allerdings eine ganz gute Beschreibung.
Perugia ist die Hauptstadt der Region Umbrien, welche in der Literatur als „Il cuore verde d’Italia”, als grünes Herz Italiens, bekannt geworden ist. Tatsächlich ist Umbrien auch die einzige der zwanzig Regionen Italiens, welche keine Grenze zum Ausland oder eine Meeresküste besitzt. Umbrien ist als solches (zumindest bei den Menschen, mit denen ich bisher gesporchen habe) neben seinen beeindruckenden Landschaften vor allem für seine Erdbeben bekannt. Daumen drücken, dass mir nicht der Appenin (der 1500 km lange Gebirgszug quer durch Italien, gebildet vom Anprall der Eurasischen an die Afrikanische Platte) unter den Füßen zerbröselt.
Erasmus
Nachdem ich bereits vor zwei Jahren Auslandserfahrungen in Form von zwei Monaten in der irischen Hauptstadt sammeln durfte, habe ich danach fast schon frenetisch nach dem nächsten längeren Abenteuer im Ausland gesucht. Durch den zu absolvierenden Bachelor in Physik an der TU Dortmund und meinen Wechsel an die RWTH Aachen, musste der nächste Trip allerding einige Zeit auf sich warten lassen. Die nächste Chance zur Flucht in ein zeitweise anderes Leben ergab sich dann durch Erasmus: Wenige Wochen nach meinem Umzug nach Aachen begann ich also mit den Vorbereitungen meiner nächsten großen Reise. Das Ziel: Italien.
Die Wahl zwischen den drei mit der RWTH Aachen kooperierenden italienischen Unis fiel bei mir innerhalb eines Tages auf die Università degli Studi di Perugia — vor allem aufgrund der grandiosen Bilder grün bewaldeter Hügel, die jeder Person angezeigt werden, die sich im Internet über die Stadt informieren möchte. Als ich dann erfuhr, dass an der von mir gewählten Universität zudem noch Veranstaltungen zu Gravitationswellen und aktueller Forschung in der Teilchenphysik angeboten würden, haben sich auch die letzten Zweifel in Luft aufgelöst und Platz für Vorfreude und Euphorie in meinem Kopf gemacht.
Nicht unbedingt bestens vorbereitet, dafür aber mit freudiger Erwartung, sehe ich nun meiner Zeit in Perugia entgegen. Die nächsten Tage werden auf jeden Fall spannend: Ich werde mir mit meinem noch recht holprigen B1-Italienisch eine Wohnung suchen müssen (und mich nach Möglichkeit nicht übers Ohr hauen lassen), einen weiteren Sprachkurs beginnen, interessante Menschen kennenlernen und vermutlich mehr als nur einmal meine Komfortzone verlassen müssen: Und damit ab ins kalte Wasser!