Gutes Brot, Mythenmetz und eine infinitesimal kleine Fakultät

Ein bisschen Spaß muss sein

Der Text der Belgierin über „die Jugend von heute“ ist schnell verdrängt. Die Stimmung beim Klimastreik an diesem Morgen war doch einfach zu gut. Während wir die Mensa verlassen, besprechen wir, was wir jeweils für Pläne für heute Abend haben. Ich sage, dass ich mir gerne die große Party von ESN heute Abend anschauen würde. Die anderen sind heute meist müde bis bedingt begeistert, es mangelt an Alternativen und so einigen wir uns darauf uns doch noch zumindest zum gemeinsamen vorherigen Umtrunk zu treffen, wenn man das so schreiben und nennen darf.

Inzwischen ist es Abend geworden und wir haben uns dazu entschlossen, nicht in eine Bar zu gehen sondern uns bei den anderen zuhause zu treffen. Nun ist es so, dass im historischen Stadtzentrum von Perugia (und um den Bahnhof herum) der Verkauf von Alkohol in Glasflaschen und Metalldosen zwischen 20 Uhr und 6 Uhr des folgenden Tages verboten ist und bei Zuwiderhandlung empfindliche Strafen in Höhe von über 1000€ verhängt werden. Das hat nicht nur den unangenehmen Nebeneffekt, dass im Sommer morgens auf den scalette und darum herum immer mehrere tausend Plastikbecher liegen, die dann von der Müllabfuhr entsorgt werden müssen, sondern auch den Nachteil, dass selbst der bessere Rotwein in PET-Flaschen umgefüllt wird, wenn man ihn im Geschäft kauft. Folglich freue ich mich, dass ich (eigentlich schon viel zu lange) eine gute Flasche Montepulciano d‘Abruzzo bei mir im Schrank liegen habe, die wir in Ancona gekauft hatten aber dort abends dann nicht mehr öffnen wollten.

Der Wein ist hervorragend und die Musik stimmt auch: Wir konnten uns aus mir unerfindlichen Gründen auf Rockmusik einigen – das bin ich nicht gewohnt, aber daran gewöhnen könnte ich mich schon. Wir spielen erst Karten und (in Ermangelung großer Gläser) anschließend Bierpong mit Schnaps-Plastikbechern. Das macht das Treffer nicht ganz einfach, aber Übung macht ja bekanntlich den Meister. Vor der Disko, die sich direkt unterhalb der Mensa befindet und sonst auch als Cafeteria dient, treffe ich Anaïs, Long, Rémi und (es wird niemals alt) – Überraschung – Giorgio. Wir werden mit Neonfarbe angemalt und bekommen noch Knicklichter und los geht‘s! Der Raum füllt sich schnell und die Musik wird auch mit der Zeit immer erträglicher. Nach ein paar Stunden ist auch diese Party vorbei und ich taumle zurück nach Hause, wo ich auf Anaïs und Long treffe, die schon vor mir gegangen sind. Rémi kommt auch wenig später zurück, ist aber dieses mal so laut, dass sogar ich kurz wieder wach werde. Die letzten Male habe ich davon nur durch Francescos angenervte Whatsapp-Nachrichten am jeweils nächsten Tag erfahren.

Ich geh’ im Urwald für mich hin …

Wie schön, dass ich im Urwald bin:

man kann hier noch so lange wandern,

ein Urbaum steht neben dem andern.

Und an den Bäumen, Blatt für Blatt,

hängt Urlaub. Schön, dass man ihn hat!

Heinz Erhardt

Es ist kurz nach 5, der Wecker klingelt, ich stehe auf und mache mich in Windeseile fertig zum Abmarsch. Gestern war der erste Tag seit meiner Ankunft vor genau einem Monat, an dem ich das Haus nicht verlassen habe. Stattdessen habe ich zunächst einmal eine gute Portion Schlaf nachgeholt, den letzten Blogeintrag verfasst und mich dann mit Long beim Essen etwas über Vietnam unterhalten. Long kocht jeden Tag mehrmals für sich und hinterlässt neben einer sauberen und nach Essen duftenden Küche meistens auch bei mir das schlechte Gefühl, dass ich auch mal wieder kochen sollte. Wir reden über die Probleme, die der Kommunismus in Vietnam mit sich brachte, Koreanische Spione, verbotene Reisen ins Ausland und auch über die Demo von gestern. Ob es die Zensur ist oder schlichtweg aktuell nicht relevant für die vietnamesische Bevölkerung: Von den weltweiten Klimastreiks und Greta Thunberg ist dort jedenfalls noch nichts angekommen. Wir haben noch ein bisschen weiter gequatscht bevor ich mich dann den Rest des Tages dem Blog und den Fotos der letzten Wochen gewidmet habe. Nun aber geht es auf, auf nach Assisi. Wir haben heute einiges an Weg vor uns: Geplant ist es, um 7 den Zug nach Assisi zu nehmen, dort noch kurz zu frühstücken und dann über den Monte Subasio bis nach Spello zu laufen. Erst 1027 Höhenmeter rauf und dann 895 Meter wieder runter. Wenn dann noch Zeit bleibt, wollen wir uns auch noch Spello anschauen.

Ich schnappe mir noch schnell die Actionkamera, befestige sie mit einem wirklich überaus dämlich aussehenden Stirnband an meinem Kopf und nehme so die langsam aufgehende Sonne auf unserem Weg zum Zug auf. Die Minimetrò fährt leider noch nicht – eine Sache, die leider nicht allen von uns bewusst war. Trotz einer beeindruckend schnellen Taxi-Fahrt sind wir dadurch nicht ganz so vollzählig beim Einsteigen in den Zug wie wir es ursprünglich geplant hatten und auch unsere Bemühungen den Zug durch das Blockieren einer Tür noch vom Abfahren zu hindern, bleiben erfolglos. Am Ende sind es nur knapp 10 Sekunden, die uns zwischen dem endgültigen und abrupten Schließen der Zugtüren und dem Erscheinen unserer uns nun ein Bild vom abfahrenden Zug schickenden Freundin trennen.

Dumm gelaufen, aber unsere Gruppe hat auch so eine anständige Größe von sechs Personen. Wir kommen in Assisi an und die Sonne strahlt uns ins Gesicht. Um unser nicht besonders gut gefülltes Zeitkonto und unsere Hammelbeinchen nicht zu überstrapazieren, nehmen wir den Bus bis in die Innenstadt von Assisi und machen uns auf dem Weg Gedanken, wie wir denn überhaupt zu Laufen haben. Darum hat sich bisher nämlich noch niemand so recht gekümmert. Ich suche schnell eine Route heraus, die mit 6 Stunden Wanderzeit angegeben ist und insgesamt als schwer angegeben wird. Nötige Kondition: 6 von 6 Sternen, nötige Technik: 5 von 6 Sternen – dafür aber auch für Landschaft und Erlebnis 5 von 6 Sternen. Nach so etwas habe ich in Umbrien gesucht! Dass diese Variante als „schwer“ angegeben wird, verschweige ich den anderen nicht; dass die Wanderung „lang und strapaziös“ wird und mit „ein gewisses Maß an körperlicher Leistungsfähigkeit“ erfordernd beschrieben wird, behalte ich jedoch lieber erst einmal für mich. Nicht, dass wir uns doch noch spontan für einen Spaziergang umentscheiden.

Gestärkt von einem kleinen Caffè (für die anderen) bzw. von einem Panino mit Tomate und Mozzarella (für mich) beginnen wir den durchaus als sportlich anspruchsvoll zu bezeichnenden Aufstieg. Auf dem Weg begegnen wir zunächst unzähligen kleinen Geschäften, die Souvenirs wie Rosenkränze, Holzkreuze, Marien-Schnitzereien und natürlich auch kleine Plastik-Double vom heiligen Franziskus (San Francesco) für die Touristen anbieten, die inzwischen auch aus ihren überteuerten Löchern kriechen. Die Souvenirgeschäfte weichen Eichen, Buchen und Ahörnern Ahornen und die im Vergleich zu Perugia fast schon flachen Gässchen werden zu einem steilen Schotterpfad, an dessem Rand ein Wegweiser das Eremito delle Carceri ausschildert. Letzteres ist ein kleiner Klosterbau in einer steilen Waldschlucht und war im 13. Jahrhundert Gebets- und Meditationsort für den heiligen Franziskus. Noch weiß ich nicht viel darüber, außer durch den Bericht unserer belgischen Bekanntschaft, die behauptete, dass sich ein Besuch des Ortes wohl lohnen würde, auch weil es eine berühmte Statue vom Heiligen gibt, bei der er auf dem Boden liegend, in den Himmel schauend dargestellt wird.

Es ist noch Vormittag und wir erreichen das Kloster. Offensichtlich muss der Ort bei deutschen Reiseführern beliebt sein, denn es kommen immer wieder Rentnertruppen mit weißbesockten Wandersandalenträgern an uns vorbei, bzw. wir an ihnen. Und weil allwetterfeste Jack Wolfskin-Jacken noch nicht Indiz genug sind um im Ausland sofort als Deutscher erkannt zu werden, haben natürlich auch alle brav ihre praktischen Funktionsshirts an und Wanderhüte auf. Ich meine, ich bin nicht unbedingt unauffälliger mit meiner inzwischen auf Kniehöhe gekürzten Wanderhose und dem Wanderrucksack, aber auffällig ist es doch, dass gerade die Deutschen immer gut aus der Ferne als solche zu erkennen sind. Ich frage mich kurz, wo denn plötzlich die Krampfadergeschwader herkommen – auf dem Weg nach oben sind wir neben Insekten, Vögeln, einem sehr ambitionierten Radfahrer und zwei Pilzsammlern eigentlich niemandem begegnet – da fällt mir auf, dass es anscheinend eine Straße mit regem Touri-Verkehr hier rauf gibt. Überrascht sollte ich eigentlich nicht sein, immerhin sind wir die letzten 500 Meter auch entlang einer Straße durch den ziemlich dichten Nebel gelaufen, doch ganz so erreichenswert erschien mir unser Zwischenziel bisher dann doch nicht.

Die Hinweise mit der Bitte um silenzio (also Schweigen) ignorieren alle Touris gekonnt und so auch wir. Das Kloster, oder eher: das Klösterchen ist in mehrere besuchbare Teile aufgeteilt: Unter anderem eine Grotte, in die sich der Heilige zum Ende seines Lebens zum Beten und Schlafen verschanzt hatte. Direkt, wenn man durch die letzte kleine Tür (die Türen sind tatsächlich so klein, dass ich bezweifle, dass selbst ein Mittelalter-Mensch dort aufrecht durchgehen konnte) wieder ins Freie schreitet, befindet sich auf dem Boden ein glatter, rosafarbener Stein mit Löchern, durch die man in das „Loch des Teufels“ schauen kann: Der Legende nach hat Franz dort einen Dämon gefangen gehalten, der von einem anderen Eremiten Besitz ergriffen hatte. Soso. Heutzutage befindet sich primär Plastikmüll in dem Loch, den ketzerischere Menschen durch die kleinen Schlitzchen nach unten geworfen haben. Das steht wohl so nicht in den Reiseführern, entspricht aber doch der Wahrheit. Vielleicht trauen sich die Franziskaner auch nur nicht, den Unrat dort unten aus dem Teufelsloch zu entfernen. Nach einem kurzen Blick in die dem Eremo angegliederten Waldstücke und auf die von der Belgierin versprochene Statue (die zugegebenermaßen hübsch, aber meiner bescheidenen Meinung nach den Aufstieg bis hierher nicht wert wäre) machen wir uns wieder auf für den Rest des Weges. Beziehungsweise: Wir machen erst einmal Mittagspause.

Die Landschaft verändert sich langsam und die Bäume werden lichter. Als wir schließlich die Baumgrenze erreichen, können wir es kaum erwarten endlich den Gipfel des Monte Subasio zu sehen. Dieser jedoch, verbirgt sich nach wie vor vor unseren neugierigen Blicken hinter einem immer noch recht dichten Nebel. Doch mit der Zeit verzieht sich auch der Nebel und lässt es wieder sommerlich warm werden auf den grünen Hängen des Berges und gibt den Blick frei auf den Gipfel, der nun nicht mehr sonderlich weit entfernt aussieht. Auf dem Gipfel stehen anscheinend grasende Pferde und Kühe. Während einer Unterhaltung an einer Bergflanke entlang wundere ich mich plötzlich übere meine eigene Stimme: Das sind Echos! Und sogar gleich vier Stück hintereinander. So laut hatte ich das bisher noch nie, nicht einmal in den Alpen. Total verrückt. Und trotz Physikstudiums habe ich keine Ahnung wo das Echo herkommen sollte. Um uns herum ist weit und breit nur freie Fläche, Kilometer unter uns, gut sichtbar die umliegenden Städte der Region. Endlich sind wir beim ersten Gipfelkreuz angelangt! Assisi ist inzwischen zu einer winzigen Stadt am Rande des Berges, auf dem wir stehen, geworden und vor uns liegt eine gewaltige Fläche über der auf der anderen Seite gut sichtbar Perugia thront. Durch den plötzlich verschwundenen Nebel ergibt sich ein beeindruckendes Panorama über die weitläufigen Olivenhaine und Wälder um die Städte und Gemeinden von Perugia, Assisi, Spello und Bastia Umbra. Auch von hier kann man wieder den Weg sehen, den wir letzte Woche von Perugia am Tiber vorbei bis nach Assisi entlanggewandert sind. Stupendo! Wir machen noch ein paar Fotos und uns dann wieder auf den Weg, denn etwa die Hälfte der Strecke bis Spello liegt noch vor uns.

Auf dem Weg zum Gipfel des Berges teilen wir uns auf: Die Mädels haben durch die noch vor uns liegende Strecke und den erneut aufziehenden Nebel keine Lust, sich den Gipfel anzuschauen und gehen den direkten Weg bis nach Spello. Oben angekommen bietet sich uns leider nicht das erhoffte 360°-Panorama, denn der Nebel ist inzwischen tatsächlich wieder zu dicht geworden. Wir verweilen nicht lange und machen uns auch auf den Weg bergab nach Spello, vorbei an Pferden und Kühen, die an den Plateaus des Berges in der Sonne grasen.

Als wir uns nach einiger Zeit wiederfinden, sind wir schon ein ganzes Stück bergab gelaufen und die Baumgrenze ist schon wieder in die Nähe gerückt. Wir machen noch eine kurze Pause, in der wir unseren mitgebrachten Scamorza und Camembert verkosten und begeben uns dann wieder in bewaldetere Gefilde. Der Wald ist nun jedoch ein ganz anderer: er ist dichter und riecht auch viel harziger. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich hier tatsächlich noch oder eher wieder Wildkatzen, Wiesel, Dachse und Wildschweine wohlfühlen. Angeblich soll es hier auch noch Wölfe geben. Von der Fauna bekommen wir gerade allerdings nicht so viel mit, bis auf einen Adler, der über den hinter uns liegenden Plateaus des Berges seine Kreise zieht.

Ich binde meinen Rucksack etwas enger und fange an, den schmalen Waldweg entlang den Berg runterzurennen, in der Hoffnung nicht umzuknicken und noch die ein oder andere witzige Aufnahme mit der nach wie vor auf meinem Kopf sitzenden Kamera zu machen, wie ich über Stöcke und Steine springe. In dem Tempo wollen mir die anderen nicht folgen, dementsprechend habe ich immer wieder Zeit um zu verschnaufen und zu kontrollieren, ob wir noch auf dem rechten Weg sind. Irgendwann wird der Wald immer dünner und macht Platz für ein weites Feld voller Olivenbäume. Dass man die an ihnen wachsenden Früchte nicht einfach so probieren sollte, weil diese doch für zumindest ein paar Minuten ein wirklich pelziges Gefühl auf der Zunge hinterlassen, sollte mir inzwischen, nach bestimmt fünf vorherigen Versuchen eigentlich längst klar sein, aber irgendwie kann ich es dann doch nicht lassen. Ein Granatapfelbaum liegt ebenfalls am Wegesrand, doch nachdem aus der mit Mühe gepflückten, zum Bersten mit Kernen gefüllten Frucht nur Ameisen und Ohrenkneifer herauskrabbeln, ist mir der Appetit dann doch vergangen.

Es wird langsam Abend und wir machen noch kurz bei einer Wasserstelle unterhalb eines ehemaligen Aquädukts eine weitere Pause, bis wir dann endlich in Spello, einer kleinen Gemeinde mit etruskischer Geschichte, ankommen. Nachdem wir noch kurz in einer Eisdiele eine Rast eingeschoben haben und durch einige Gassen der Stadt getapert sind, machen wir uns auf den Rückweg mit dem Zug nach Perugia. Die Idee, bei il bacio essen zu gehen, ist zwar nicht neu, aber deswegen nicht weniger schlecht. Diesmal bekommen wir sogar ganz ohne auf Francesco zu verweisen Rabatt. Woran es letztendlich lag, wissen wir nicht. Vielleicht einfach, weil wir uns noch etwas mit dem Kellner unterhalten haben.

Der Chopin-Schrein und die spezielle Relativitätstheorie

Für heute Abend habe ich mich mit Khalid, meiner Bekanntschaft aus dem Pinturicchio, für nach dem Abendessen verabredet. Sprich, so gegen halb 11. Bis dahin will ich noch ein bisschen Einkaufen, Bilder nachbearbeiten und zum Sport. Khalid hat mir angeboten, ein wenig bei ihm Klavier zu spielen: Ein Angebot, das ich natürlich nicht ausschlagen kann. Ich habe jetzt schon einen ganzen Monat kein Klavier mehr gespielt und werde deswegen ganz schrecklich aus der Übung sein. Ich werde mir auf jeden Fall in meinem bald abzuschickenden Winter-Care-Paket aus Deutschland meine Chopin-Noten zuschicken lassen. Sophie hatte mir nämlich gesagt, dass im Caffè Morlacchi, das direkt an meiner Straßenecke liegt, ein spielbar aussehendes Klavier stehe. Wenn es gut läuft, werde ich dort bald wieder ein bisschen üben können.

Als ich endlich den Eingang zum Wohnheim gefunden habe, in dem Khalid wohnt, werde ich erst einmal vom Pförtner gebeten, meine Mensakarte als Pfand dazulassen. Ich werde mir sie wiederholen können, wenn ich nach Hause gehe, sagt der freundliche, dicke Mann mit den paar Zähnen im Mund. Khalid freut sich unglaublich mich zu sehen und stellt mir erst mal einen Kumpel von sich vor, der gerade von seinem Sardinien-Trip wiedergekommen ist. Er war nicht nur zum Reisen da sondern hat auch als Strandwache und Bademeister einiges an Sonne abbekommen. Khalid zeigt mir sein Zimmer im dritten Stock: Typisch Wohnheim, eben. Super eng und sehr funktional eingerichtet. Aber, wie ich zugeben muss, definitiv ein Zimmer mit Charakter. An den Wänden hängen Poster von Philosophen und in einem Regalfach ist eine Art Chopin-Schrein eingerichtet. Eine Büste und Postkarten mit seinem Profil lassen darauf schließen, dass Khalid offensichtlich eine Chopin-Obsession hat. Sympathisch. Hinterm E-Piano steht auf einem großen Haufen Klaviernoten eine grüne Pappe mit deutscher Grammatik: „Die Frau, der Frau, der Frau, die Frau; die Frauen, der Frauen, den Frauen, die Frauen.“ Gut, dass ich das nie so lernen musste. Ich wäre wohl wahnsinning geworden. Italienisch ist da um einiges zugänglicher.

Nachdem ich die Buchwand bewundert habe (alles Wichtige ist dabei, von Tolkien bis Grimms Märchen) fordert mich Khalid auf, etwas auf dem Klavier zu spielen. Da ich aber leider nie irgendetwas außer den Maple Leaf Rag auswendig gelernt habe, bin ich auf die Noten angewiesen, die sich hinter dem Notenpult verbergen. Tatsächlich sind ein paar Nocturnes dabei, die ich schonmal gespielt habe und auch das Debussy-Stück, das ich mir zuletzt in Deutschland intensiver angeschaut hatte. Es klingt schräg und nach E-Piano, aber Khalid ist jedenfalls sehr zufrieden mit mir. Und dann legt er los. Ballade Numero Uno von Chopin. Wirklich beeindruckend und mein Niveau um viele Größenordnungen überschreitend. Das Lernen muss ewig gedauert haben. Während er spielt, sehe ich einen italienischen Zeitungsartikel, der offenbar über ihn handelt, an seinen Kleiderschrank geklebt. Durch ein Debussy-Stück, das er danach spielt, kommen wir irgendwie auf Jazz zu sprechen. Die nächste Stunde versuchen wir uns gegenseitig zu erklären, warum Jazz gut bzw. schlecht ist. Khalid argumentiert auf Deutsch mit der Meinung, dass Jazz Teufelzeug sei, und ich auf Italienisch für Jazz, da ich zumindest ein gewisses Faible für Jazz-Standards habe.

Nachdem ich ihm noch bei ein paar Matheaufgaben zur Vektoranalysis, die er anscheinend gerade aus irgendeinem Grunde für sein Wirtschaftsstudium braucht, geholfen habe, kommen wir zu dem Argument zur Relativitätstheorie aus dem Pinturicchio zurück. Es ist nicht ganz einfach, ihm klar zu machen, dass aus der kinetischen Energie der klassischen Mechanik nicht einfach durch das Weglassen eines Faktors 2 und durch Gleichsetzen von Lichtgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des massiven (!) Körpers die berühmte Formel E = mc² folgt. Am Ende sieht er jedoch ein, dass seine Entdeckung doch eher ein Zufall als eine Herleitung ist und die physikalische Interpretation davon gelinde gesagt Murks ist. Aber dennoch verrückt, worüber er sich Gedanken macht. Wir verabschieden uns voneinander, ich hole mir meine Mensakarte zurück und auf dem Weg über die steile Via Appia nach Hause, bin ich mir immer noch nicht ganz im Klaren darüber, was seine Idee in einem physikalischen Kontext bedeutet. Morgen früh gibt‘s jedenfalls endlich wieder ein bisschen Teilchenphysik an der Uni. Jippieh.

Die kleinste Fakultät der Uds

Ich renne zur Uni. Gestern wurde es doch etwas später als ich dachte und zu spät will ich nicht unbedingt an meinem ersten Tag an der Uni hier sein. Ich frage die Pförtnerin, wo sich mein Hörsaal befindet und treffe auf dem Weg dorthin noch Luca aus meinem Semester, den ich bereits am Einführungstag kennengelernt hatte. Der Hörsaal ist leer und es kommt auch keiner. Kacke. Ich frage zwei Studentinnen im Lernraum nebenan, ob sie zufällig wüssten, warum keiner da sei. Es gibt mehrere Möglichkeiten: Entweder fängt die Vorlesung heute erst später an oder ich bin einfach die einzige Person, die sich für die Veranstaltung interessiert. Oder aber die Vorlesung fängt noch nicht heute an, sondern erst in ein paar Tagen. Eine halbe Stunde später, in der ich mehrere nette wissenschaftliche Mitarbeiter (zum Teil mit Bekannten beim Aachener TTK) und vermutlich das halbe Semester, also so zehn Leute kennengelernt habe, stellt sich raus, dass die Vorlesung erst in zwei Wochen losgeht und ich zwar nicht die einzige Person bin, die sich die Teilchenphysik-Vorlesung anhören möchte, aber wohl nun der Dritte im Bunde bin, der sich dafür interessiert. Die kleinen, persönlichen Veranstaltungen seien wohl ganz normal meinen Luca und Lorenza. Ob sich für die Gravitationswellen-Vorlesung irgendjemand anderes finden würde, bezweifeln die beiden. Und für eine einzelne Person würden wohl keine Vorlesungen gehalten werden. Ich sollte dem Dozenten einfach mal eine Mail schreiben. Gesagt, getan: Wenige Stunden später habe ich zwar noch keine Gewissheit, ob die Vorlesung morgen gehalten wird, aber immerhin das großartige Angebot, eine andere Lösung zu finden um mich über Gravitationswellen weiterzubilden, die sich sehr danach anhört als ob ich im Vieraugengespräch mit dem Professor die Vorlesungsinhalte diskutieren würde.

Nach dem Mittagessen setze ich mich noch in eine Veranstaltung zu Astroteilchenphysik und Kosmologie: Primär, um mitzubekommen, wie hier Vorlesungen ablaufen und um nicht ganz umsonst zur Uni gelaufen zu sein und eventuell noch ein paar Vokabeln mitzunehmen. Diesmal sind es aber sogar gleich sieben Leute, die im kleinen Hörsaal sitzen: ganz zur Freude der Dozentin. Am Ende der Vorlesung stelle ich mich noch bei dem Rest meiner neuen Kommilitonen vor: Ich werde mit Namen bombardiert, die ich mir auf keinen Fall alle auf einmal merken kann. Nicht so schlimm, meinen die anderen, wir sehen uns ja noch ein paar mal dieses Semester. Wir sprechen noch kurz darüber, wer welche Veranstaltung besuchen möchte und verabschieden uns dann bis morgen. Anscheinend will wirklich keiner die Gravitationswellen-Vorlesung besuchen. Ich bin gespannt, was morgen beim Gespräch mit dem Dozenten rauskommen wird.

Die Mythenmetzsche Abschweifung

Ich entschließe mich spontan, mir heute auch die erste Veranstaltung zur Statistik und Datenanalyse anzuhören. Auch wieder um Vokabeln aufzuschnappen und mangels einer alternativen Nachmittagsplanung. Nach der von fünf Studierenden frequentierten Vorlesung stelle ich mich noch kurz der Dozentin vor, die noch ein bisschen mit mir über ihre Arbeit quatscht. Alles sehr informell – das könnte man wohl auch von den beiden Vorlesungen behaupten, die ich bisher besucht habe. Als ich ihr berichte, dass ich „eher Theoretiker“ als Experimentalphysiker bin, verzieht sie schmerzverzerrt das Gesicht und gibt ironisch Laute des Ekels von sich. Das ist wohl auf der ganzen Welt unter Experimentalphysiker so ein Ding. Wir sprechen noch über ihre Kontakte nach Aachen und ihre Empfehlungen, welche Veranstaltungen ich mir dieses Semester in Perugia anhören sollte. Dass ich mein Learning Agreement nochmal ändern werden muss, steht jetzt jedenfalls fest.

Als ich den fast leeren Hörsaal mit Platz für bestimmt 200 Leute betrete, in dem die Privat-Vorlesung zu Gravitationswellen gehalten werden soll, ist die einzige Person, die sich darin befindet der Dozent, der gerade noch eine raucht. Er fragt, ob ich mich nicht dazustellen wollte und gibt mir ein Kompliment für mein Stormtrooper-Shirt, das er anscheinend witzig findet. Es scheint als wäre ich in meinem Semester die einzige Person, die sich für Gravitationswellen interessiert. Dementsprechend erklärt mir der Prof, der mit Vornamen witzigerweise Helios (wie der griechische Sonnengott) heißt, dass er mir gerne zwei Artikel zu historischen, experimentellen Tests des Äquivalenzprinzips mitgeben würde, dann hätte ich schon mal etwas zu lesen. Des Weiteren empfiehlt er mir ein Buch und lädt mich ein, wenn ich denn Lust hätte, mit ihm nach Cascina (eine kleine Stadt in der Nähe von Pisa) zu fahren. Dort könnte er mir dann wohl das Virgo-Interferometer im Europäischen Gravitationsobservatorium zeigen. Ich bin wirklich verblüfft über das Angebot und versuche irgendwie höflich meine Freude darüber auszudrücken. Das wäre schon der Hammer, wenn das klappen würde. Dafür lese ich mir dann sogar gerne historische Experimentalphysik-Paper durch!

Abends berichte ich den anderen davon in einer Kneipe in der Nähe der Villa Iceberg, die sich Il Quarto nennt. Wir sind die einzigen im Laden und finden auch bald raus, warum: Das Bier kostet pro Glas 5€ und die Musik ist auch nicht das Gelbe vom Ei – die letzten Male hat es sich so vielversprechend nach System of a Down angehört, als wir an der Bar vorbeigelaufen sind. Unserem Wunsch nach musica un po‘ più duro (ein bisschen härterer/rockigerer Musik) wird aber jedenfalls gerne nachgekommen. Nachdem wir uns darüber beömmelt haben, wie ich in Helios Wagen fahren würde, verlassen wir die Kneipe um ins Pinturicchio zu wechseln. Dort ist heute Live-Musik angesagt, mehr los und das Bier nicht ganz so teuer.

Das Gespräch dort fällt auf meinen Blog, den sich die anderen inzwischen mal angeschaut haben: Dass ich die Handlungen aus meiner Sicht darstelle und diese dementsprechend verzerrt ist, war mir jetzt nicht unbedingt fremd, aber wird mir dankenswerterweise nochmal bewusst gemacht. Dass ich manchmal ins Zynische abrutsche, ist aber auch bei meinen Freunden nicht unbemerkt geblieben. Und dass ich dadurch für mich nicht besser persönlich kennende Leser als unnahbar wirken könnte, wird auch gesagt. Kann schon sein, denke ich mir. Gefällt mir eigentlich ganz gut so, denke ich danach. Das spiegelt es dann wohl ganz gut wieder. Als ich davon berichte, dass mein Bruder schon nach dem ersten Blogeintrag meinen Schreibstil als stellenweise mythenmetzsch beschrieb (in Anlehnung an Hildegunst von Mythenmetz, den sentimentalen Flugsaurier, der in Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers von seinen Reiseerinnerungen berichtet) wird mir auch Letzteres von meinen Moers-bewanderten Freunden erklärt: Es sind nicht die Abschweifungen und Auflistungen. Auch nicht das Vorwort, das in gewisser Weise analog zu „Eine Warnung“ zu Beginn der Reiseerinnerungen steht. Oder zumindest nicht nur. Es ist wohl der Zynismus. Wenn das also gerade dieser Zynismus ist, von dem immer alle reden, findet ich ihn eigentlich ganz unterhaltsam. Der Abend ist jedenfalls wunderbar. Die Gitarrenmusik im Hintergrund macht es noch viel besser. Wirklich alt werde ich allerdings heute nicht mehr: morgen möchte ich früh raus und mir die Vielteilchenphysik-Vorlesung anhören.

Der beste Bäcker der Stadt

Es regnet wie bescheuert. Als ich nach der morgendlichen Dusche das Haus verlasse, bei der ich inständig gehofft habe, dass jetzt bitte kein Blitz ins Dach unseres wirklich hoch gelegenen Hauses einschlägt, schicken meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner Bilder und Videos in unsere WG-Gruppe von ihren undichten Fenstern und tropfnassen Fensterbänken. Hoffen wir, dass mein Fenster dicht bleibt. Die Tage, an denen es geregnet hat, lassen sich bisher noch an einer Hand abzählen, aber jetzt sieht es so aus, als ob es klug wäre in den nächsten Tagen nur noch mit Regenjacke und Schirm vor die Tür zu gehen. An der Uni angekommen, nehme ich zum ersten Mal richtig wahr, wie sich die Italienische Frühstückskultur doch von der deutschen unterscheidet. Die Studis um mich rum haben alle einen kleinen Plastikbecher mit Espresso vor sich stehen und einige haben auch ein paar dieser süßen, italienischen Frühstückskekse mit dem absurd hohen Suchtpotential dabei. Ob ich mich daran gewöhnen kann, weiß ich noch nicht. Fürs Erste werde ich jedenfalls weiter nach schwerem Sauerteigbrot suchen.

Der Hörsaal ist voller als ich ihn bisher gesehen habe. Alle knapp zehn Studis des zweiten Mastersemesters sind da. Recht schnell merke ich, dass Vielteilchenphysik nicht mein Ding ist und ich den nuschelnden und rasend schnell redenden Prof nur zu einem wirklich unzureichenden Anteil verstehe. Aber immerhin macht er anders als seine Kolleginnen mit Beamer-Präsentationen eine Kreidetafel-Vorlesung. Mathe ist immerhin eine Sprache, die international die selbe ist. An die italienische Schreibschrift werde ich mich allerdings auch noch gewöhnen müssen. Bis dahin werde ich auf das Fotografieren der Mitschriften meiner Kommilitonen setzen müssen. Nach der Vorlesung gehe ich zur Physik-Bereichsbibliothek und leihe mir das empfohlene Gravitationswellen-Buch aus. Die Bibliothekarin erklärt mir geduldig, wann ich das Buch wo verlängern und zurückgeben kann.

Draußen regnet es immer noch wie aus Kübeln und als ich in der Bäckerei ankomme, die mir Sophie empfohlen hatte, beschlagen meine Brillengläser. Ich erkläre, dass ich schweres Brot „wie in Deutschland“ suchen würde, worauf die Frau hinter der Theke kurzerhand einfach den Bäcker ruft. Nach einer kurzen Geschichtsstunde zu ungesalzenem Brot in Perugia (siehe letzter Blogeintrag), der Auflistung der italienischen Namen der Getreidesorten und (zu meiner Überraschung) deren deutschen Entsprechungen, erklärt er mir mit einem starken Schweizer Akzent aber auf Deutsch Iccch cccchaaaabe eine Schweizrrrr Schwiiiieegrrrmuuttrrr. Ich muss lachen und kaufe gerne eines der Brote zu echten Apothekerpreisen. Egal! Es wiegt bestimmt ein Kilo und wirkt wir echtes Brot. Jetzt muss es nur noch schmecken und ich habe die beste Bäckerei der Stadt gefunden!

Zuhause angekommen, schneide ich sofort das Brot mit dem stumpfen WG-Brotmesser an und freue mir (mit Verlaub) ein zweites Loch inne Furt. Das Brot macht nicht nur satt, sondern hält selbst der steinharten Butter aus dem Kühlschrank stand ohne sich direkt in Wohlgefallen aufzulösen. Ich grinse breit und lese noch ein paar Seiten im frisch ausgeliehenen Buch und mache mich dann auf dem Weg zum Sport mit Antoni, dem Polen, mit dem ich gemeinsam die mündliche Italienisch-Prüfung hatte. Beim Sport lerne ich noch Omar und Augusto kennen, die ich die letzten Male schon gesehen aber nicht angesprochen hatte. Die beiden sind ein bisschen besser als ich und haben deswegen gute Tipps auf Lager und noch ein paar Vokabeln für meinen Boulder-Wortschatz auf Italienisch. Zum Schluss frage ich noch die Dame hinter der Theke, die schon beim zweiten Mal hier meinen Namen auswendig konnte, nach dem Ihren. Dass ich ihren Namen nicht kannte, hatte mich schon die letzten paar Male hier geärgert. Jetzt wünsche ich Daniela jedenfalls noch eine buona serata (einen guten Abend) und mache mich schleunigst auf zum Konzert in der Kirche San Filippo Neri, das wie so häufig Sophie für uns rausgesucht hatte. Ich habe keine Ahnung, wie man auf so viele (gute!) Veranstaltungen aufmerksam werden kann wie Sophie. Danke dafür!

Das Chor-Konzert selbst ist nicht ganz mein Fall. Der Sopran ist so dominant, dass er bei mir schon fast Kopfschmerzen verursacht. Die anderen finden es aber durchaus gut und die Atmosphäre in der düsteren Kirche ist spitze. Am besten hat mir der Tenor mit der Knödelstimme gefallen. Ähnlich undifferenziert war nach dem Konzert auch mein Kommentar zum wallend weißen Haar des Dirigenten asiatischen Ursprungs. Das Konzert geht zu meiner Freude nicht besonders lange. (Es war trotzdem schön, Hannah.) Zurück in der WG angekommen unterhalte ich mich (bei einer weiteren Scheibe des Brotes, das ich inzwischen nicht nur in meinen Magen sondern auch mein Herz geschlossen habe) noch mit der Mutter von Francesco, die seit einer Woche bei uns wohnt. Wir wissen nicht genau, warum, trauen uns aber auch nicht wirklich sie danach zu fragen. Vincenza erzählt uns, dass sie bis vor ein paar Jahren Lehrerin an einem liceo classico (einem deutschen, altsprachlichen Gymnasium nicht unähnlich) für Italienisch, Latein und Literatur war. Sie bringt uns noch ein paar Vokabeln zu den Themen Schule und Religion bei und empfiehlt uns, uns mehr mit den Italienern zu unterhalten und weniger mit den Deutschen. Jetzt ist vermutlich wirklich ein guter Zeitpunkt, etwas mehr Kontakt zu den italienischen Studis aufzubauen um ans Reden zu kommen.

Fotos vom Kurs und vom Friedhof

Heute morgen war die erste Vorlesung, die mich tatsächlich auch fachlich interessiert hat: „Dinamica del Modello Standard“. Begonnen hat die Vorlesung mit einer kurzen Einführung in die Geburt des Standardmodells der Teilchenphysik durch die Entdeckung der elektroschwachen Wechselwirkung durch das Energiespektrum der β-Zerfälle. Der Dozent spricht ruhiges und verständliches Italienisch, hat einen sauberen Tafelanschrieb und scheint auch sonst ein ganz patenter Typ zu sein. Die Vorlesung könnte zu meinem Lieblingskurs dieses Semester werden. Was den Dozenten noch ein bisschen sympathischer macht, ist, dass er zu Beginn ein Kursfoto für seine Homepage gemacht hat.

Beim Essen in der Mensa entschließen wir uns, später bei einer Führung über den Friedhof von Perugia teilzunehmen (auf Empfehlung von Sophie, versteht sich). Als wir endlich startklar sind, sind wir leider schon etwas spät dran und nehmen dementsprechend die Beine in die Hand: Der Friedhof liegt ca. eine halbe Stunde außerhalb der Stadt, wenn man zu Fuß geht. Flo und ich spurten vorweg, bis wir irgendwann von Lukas gerufen werden, der uns gerade durch das offene Fenster der Beifahrertür eines uns überholenden Autos zuwinkt. Rückblickend hätte ich darauf wetten können, dass Lukas trampen würde. Wir entschließen uns, dass es eigentlich witzig wäre, wenn wir es ihm gleichtun würden und direkt im nächsten Auto dahinter säßen und strecken dementsprechend sofort unsere Daumen in die Luft. Kurz darauf hält eine junge Frau mit ihrem Kind auf dem Rücksitz für uns an und nimmt uns mit. Grazie, signora! Leider nur zu weit, sodass wir noch ein ganzes Stück wieder zurück laufen müssen, bis wir wieder auf Lukas treffen. Nicht, dass die Führung schon losgegangen wäre. Wir befinden uns ja immernoch in Italien, wo man noch knappe 10 Minuten auf jede Zeitangabe hinzuaddieren muss um eine ungefähre Schätzung der gemeinten Urzeit zu erhalten.

Die Führung ist unspektakulär, bietet mir aber die Gelegenheit, mal wieder mit den Einstellmöglichkeiten meiner Kamera rumzuspielen und ein paar witzige Fotos von historischen Grabmälern zu schießen. Das klingt zwar pietätlos, ist aber glaube ich weniger dramatisch als eine Führung mit Lautsprecher für 30 Personen über einen Friedhof. Auf dem Rückweg erklärt mir Flo noch die Theorie hinter ISO, Blende, Belichtungszeit und Brennweite; die praktische Übung kam dann in Form von Landschaftsaufnahmen während des Sonnenuntergangs über Perugia.

Die letzte Woche war wieder erlebnisreich wie auch die Wochen zuvor und sorgte somit für einen Blogeintrag von zuvor noch nicht gekannter Länge. Mein Plan für die nächsten Tage ist es primär, mich nicht zu erkälten, denn inzwischen sind hier gefühlt alle ein bisschen unpässlich und mit Schals unterwegs. Mal gucken, wie gut mir das gelingen wird.

Geschrieben am 6. Oktober 2019