Che cazzo! Drei Wochenenden, ein Krimi-Dinner, ein Crashkurs in Kunstgeschichte, Taranteln und Wölfe.

Vierundfünfzig Stunden Dortmund

Da bin ich wieder! Seit dem letzten Blogeintrag ist viel passiert und ich komme eigentlich gar nicht recht mit dem Aufschreiben hinterher – gerade weil so viel passiert. Jetzt ist jedoch seit meiner Wiederankunft beim Dortmunder Hauptbahnhof und damit auch der Veröffentlichung des letzten Eintrags wieder ein Zeitpunkt erreicht, an dem ich nicht mehr unterwegs bin und deswegen auch wieder etwas Zeit zum Schreiben und Reflektieren finde. Um das Ganze für mich und für alle aushaltbar und in endlicher Zeit lesbar zu gestalten, habe ich mich dazu entschlossen dieses Mal nur einzelne Tage herauszunehmen, die ich gerne näher beleuchten würde und einzelne Tage einfach zu überspringen. Solange die beschriebenen Situationen an sich aber irgendwie rüber kommen und der Fakt, dass ich nach wie vor guter Dinge bin auch nicht irgendwo auf der Strecke bleibt ist – insomma – doch alles gut. Gut? Gut. In diesem Sinne: Schwupps!

Ich befinde mich im Tiefflug auf den Dortmunder Hauptbahnhof und habe gerade den letzten Eintrag online gestellt (dem kleinen Fünkchen Internet in der schlechten mobilen Netzabdeckung Deutschlands sei Dank) und teile nun meiner Familie mit, dass ich auch gleich da sein werde. Überraschung. Anscheinend hatte ich zuletzt noch gesagt, dass ich erst abends ankommen werde. Meine Mutter ist dennoch wild entschlossen mich am Bahnhof abzuholen und so bleibt mir bis zu ihrer Ankunft gerade noch genug Zeit um beim Bäcker einen Bremsklotz (Achtung: Slangwort für ein schweres Vollkornbrötchen) mit Käse in Empfang zu nehmen. Dazu ein Cappuccino, denn anders als in Italien ist es wirklich arschkalt, sodass sich meine Hände auf einmal in Eiswürfel verwandelt haben, die es absolut nötig haben, ein wenig aufgetaut zu werden. Das Koffein tut sein Übriges und ich bin gut gelaunt, als nur kurz später meine Mutter aufkreuzt und mich dem langen Zeitraum meiner Abwesenheit entsprechend begrüßt. Schön wieder hier zu sein.

Beim Einkaufen fürs Frühstück fällt mir auf, dass – anders als in Perugia – erstens der REWE absurd überdimensioniert ist und zweitens, dass die Leute super gestresst sind. Dabei ist doch gerade Samstagmorgen. Ich komme mir fast etwas schludrig vor, wie ich so entspannt durch die Gänge schleiche und meine Mutter darauf hinweise, dass sie eher rennt als geht. Zuhause angekommen berichten wir uns beim Frühstück erstmal davon, was in den letzten zehn Wochen so passiert ist. Ich erzähle von meiner WG, der Uni und der Stadt und genieße dann die erste warme Dusche seit zehn Wochen mit einem Duschkopf, aus dem tatsächlich genug Wasser kommt, das auch nicht in vollkommen willkürliche Richtung gesprüht wird. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, ist auch gerade mein Vater aus der Stadt zurückgekehrt – Zeit fürs zweite Frühstück. Die Frühstückskekse, die ich importiert habe, scheinen ihm sogar (im Gegensatz zu meiner Mutter, die diese nur als „schäbbige, italienische Staubkekse“ verunglimpft) zu schmecken. Nach einer kurzen Wiederholung der Dinge, die ich schon meiner Mutter erzählt hatte, und einem zuhörerangepassten, etwas ausführlicheren Bericht der Wanderungen machen wir beide uns auf dem Weg zu meiner Oma.

Meine Tante ist auch gerade da und überreicht mir mein nachträgliches Geburtstagsgeschenk: eine deutsche Ausgabe des Il Cucchiaio d‘Argento, des silbernen Kochlöffels, der Italienischen Koch-Bibel, die es auch rein von Format und Seitenzahl mit der Bibel aufnehmen kann. Nur halt mit Bildern. Super Geschenk. Wir essen noch etwas Weihnachts-Spritzgebäck mit meiner Oma, ich berichte weiter von den letzten paar Monaten und dann machen wir uns wieder auf den Weg zurück nach Hause.

Morgen ist die große Geburtstagsfeier für den Achtzigsten meiner anderen Omma, für die wir die letzten drei Monate geplant haben. Was wir nicht so richtig bedacht haben ist jedoch, dass uns noch eine Musikanlage für die Unterhaltung der knapp 40-köpfigen Gesellschaft fehlt. Im Keller stauben wir also vorsichtshalber mal die alte Stereoanlage meines Vaters ab und finden im Kassetten-Laufwerk eine Aufnahme von vor knapp 25 Jahren, als mein Bruder gerade angefangen hat „Hänschen klein“ und „Alle meine Entchen“ zu singen. Sehr witzig. Besonders unterhaltsam ist jedoch, wie er sich erstmal davon überzeugen lassen hat, dass er überhaupt Lust auf Singen hat. Ich sammle alles Nötige zusammen und stelle es für morgen früh zum Mitnehmen bereit, denn gleich werde ich mich noch mit meinem besten Kumpel treffen, der auch noch spontan Zeit für ein Treffen hat. Nach dem Abendessen (Suppe vonna Omma – ein Traum) breche ich dann auf und trinke noch zwei, drei Flaschen Dortmunder Bier mit ihm und wir bequatschen, was es so zu bequatschen gibt.

Am nächsten Morgen werde ich zum gedeckten Sonntags-Frühstückstisch gerufen und freue mich über schwere Brötchen, die tatsächlich sättigen. Kurz später erhalte ich eine Nachricht von Francesco, meinem Kommilitonen aus Perugia: Er braucht meine Hilfe. Das Gleiche schreibt mir auch meine ehemalige Dortmunder Kommilitonin Mirjam, die ebenfalls gerade auf dem Rückweg aus Dresden ist und mir erklärt, dass er dort sein Armband (bzw. genauer seinen Rosenkranz) liegen lassen hat und sie es mitgenommen hat. Ich biete mich natürlich als Postbote an und mache mit ihr aus, dass ich morgen kurz vor meiner Rückfahrt bei der Uni vorbeikommen werde, um den Rosenkranz abzuholen. Komische Zufälle gibt‘s. Da lernen die sich einfach in Dresden kennen. Nächstes Jahr muss ich echt auch dabei sein.

Nach dem Frühstück schmücken wir den Saal im Vereinsheim der Kleingartenanlage, in der früher mein Oppa seine Laube hatte, die inzwischen von meinen Cousinen und meinem Cousin benutzt und gepflegt wird. Die drei haben echt an alles gedacht: Tischdeko, Girlanden für die Wände, eine gigantische Luftballonkette für die Decke und eine goldene Luftballon-80, die wir in die Mitte hängen. Da kommt auch schon mein Bruder. High-Five! Wir befestigen die inzwischen aufgeblasene, bestimmt 15 Meter lange Luftballon-Kette an der Decke und kommen dann nochmal schnell nach Hause zurück bevor es dann in ein paar Stunden losgeht. Mein Vater, mein Bruder und ich trinken noch einen Kaffee (mein erster deutscher Filterkaffee – schmeckt im Vergleich zum Espresso ja echt nach gar nichts) und essen Frühstückskekse und Spekulatius. Ich ziehe mich schnell noch um und drucke dann das Gedicht aus, das ich in den letzten zwei Wochen für heute Abend geschrieben hatte, und mache mich dann mit meinem Bruder auf den Weg zu meiner Oma um sie abzuholen.

Als wir mit ihr beim Vereinsheim ankommen ist es kurz nach halb 5 – in einer halben Stunde soll es losgehen. Doch natürlich sind schon ein paar besonders eifrige Gäste da. Wir verteilen uns strategisch sinnvoll zum Begrüßen der Gäste und Verteilen von Sekt und O-Saft zum Anstoßen. Dazu gibt‘s dann auch schon mal direkt ein bisschen Heino, Vicky Leandros und Udo Jürgens – netterweise über die Anlage des Wirts, der uns diese für heute ausleiht, damit wir die mehr als 25 Jahre alte Anlage aus unserem Keller nicht übermäßig strapazieren müssen. So hat Peter Alexander auch schön Bumms. Toll. Netterweise hat uns unsere Omma eine kleine Hilfestellung für die Erstellung der Playlist gegeben: Eine handschriftliche Liste mit ein paar Liedern, die auf keinen Fall fehlen dürfen: „Du hast mich tausendmal belogen“, „Griechischer Wein“, „Auf der Reeperbahn, nachts um halb 1“ und besonders wichtig „SEEMANNSLIEDER!“. Ohgottohgottohgott. Nachdem ich die letzten beiden Wochen schon meinen Erasmus-Freundeskreis damit belästigt habe, die Playlist mit mir anhören zu müssen, geht‘s jetzt richtig los.

Bis um 11 sind wir mit Feiern, Essen, Tanzen und kleineren Programmpunkten zugange. Unter anderem das Gedicht, das ich geschrieben habe und das traditionsbedingt anfangen muss mit

Die Omma wird heut‘ 80 Jahr

und alle Gäste sind schon da

Die Freunde und Bekannten

und ganz besonders: die Verwandten.

Nach knapp 6 Stunden ist dann auch das hartgesottenste Partyvolk glücklich und zufrieden auf dem Weg nach Hause und verabschiedet sich mit dankenden Worten für die großartige Feier bei uns. Am wichtigsten ist aber: Die Omma ist sichtlich komplett zufrieden.

Ausschlafen kann ich nach der gestrigen Feier aber nicht, schon früh am nächsten Morgen fahre ich schon wieder zu meiner Oma um sie fürs Frühstück bei meiner Tante abzuholen. Meine andere Oma hat heute Geburtstag und mein Bruder wird später auch noch dazukommen. Beim Brunchen mit allem was dazu gehört haben wir Zeit über alles zu quatschen, was die letzten Tage und Wochen so passiert ist und auch das ein oder andere Stück Familiengeschichte auszugraben. Ich verabschiede mich bis Weihnachten von allen und mache mich dann noch eben auf den Weg zur Uni um den Rosenkranz bei Mirjam abzuholen.

In der Uni angekommen achte ich sehr darauf nicht von irgendwem gesehen zu werden – wenn ich jemandem aus meinem ehemaligen Semester treffen würden, müsste ich natürlich erstmal da bleiben und auch hier berichten, was eher ungünstig wäre, weil mein Bus in Richtung Florenz in zwei Stunden abfahren wird. Glücklicherweise gelingt mir das ganz gut und ich kann rechtzeitig wieder abhauen um zuhause meine Sachen zusammenzupacken und mich mit gefühlt 10 Kilo Weihnachtskeksen im Gepäck wieder auf den Weg zum Bahnhof zu machen. Meine Mutter bringt mich netterweise noch zum Bahnhof. Auf dem Weg dorthin bemerke ich jedoch, dass die letzten zwei Tage absolut nicht ausgereicht haben um alles zu besprechen und dafür jetzt auch keine Zeit mehr ist. Kacke. Aber Weihnachten ist ja auch noch ein Tag. Mit vielen Eindrücken und gemischten Gefühlen mache ich mich zurück auf den Weg nach Italien.

Zoropsis Spinimana. Cazzo!

Ich sitze im gleichen Bus wie schon bei meiner Hinfahrt – gleicher Platz, gleichleerer Bus. Es wundert mich schon ein wenig, wie sich das irgendwie ökonomisch lohnen kann, einen Doppeldecker-Bus mit (zumindest jetzt gerade) nur vier Personen bis nach Italien runter fahren zu lassen. Das Ticket für Hin- und Rückfahrt hat jedenfalls nur knapp 70€ gekostet. Besser als Fliegen ist es aber allemal. Für mich schon allein deswegen, weil man sich langsam an den Wechsel der Orte gewöhnen kann und nicht quasi-instantan an einen anderen Ort katapultiert wird. Tatsächlich empfinde ich es sogar angenehmer als Zugfahren im Nachtzug, auch wenn ich da richtig liegen konnte. Als ich kurz vor Bologna nach knapp 7 Stunden Schlaf wieder wach werde, strahlt mir wieder die italienische Sonne entgegen und draußen sind es 18 Grad, wie mir die kleine LED-Anzeige vorne im Bus anzeigt. Als ich wenig später in Florenz den Bus verlasse, bin ich erstaunlich motiviert mir trotz des Wanderrucksacks auf meinem Rücken und der schweren Sporttasche voll mit Weihnachtskeksen die Stadt anzuschauen bis in vier Stunden mein Anschluss-Bus direkt nach Perugia kommen wird.

Übernächstes Wochenende wollen wir uns zusammen Florenz anschauen und haben schon ein Hostel gebucht, das jedoch nicht auf unsere Mails und Anrufe reagiert hat. Eigentlich wollten wir fragen, ob wir alle in einem Zimmer untergebracht werden könnten, aber so richtig scheint das wohl nicht aufzugehen. Um zumindest sicher zu gehen, dass das Hostel tatsächlich existiert und wir nicht irgendeiner Touri-Falle zum Opfer geworden sind, entscheide ich mich einfach mal zur Adresse des Hostels hinzuspazieren: Das Hostel scheint tatsächlich zu existieren – zumindest stehen gerade ein paar Leute an der Rezeption. Puh, Glück gehabt. Ich spaziere locker flockig zum Dom zurück und entscheide spontan einfach mit dem Zug zurück nach Perugia zu fahren. Sara will nämlich Kürbis-Risotto machen und ich könnte auch noch eine Portion abstauben, wenn ich mich ein bisschen beeile. Dann könnten wir auch direkt die Rollen für das Krimidinner verteilen, das uns unsere Freunde zum Geburtstag geschenkt haben.

Ganz pünktlich schaffe ich es dann leider doch nicht an den Essenstisch – meinen Anschlusszug in Terontola-Cortona ist mir und knapp 50 anderen leider im prasselnden Regen vor der Nase weggefahren. Ein allgemeines Cazzo!-Rufen (Wie „Mist!“, nur vulgärer) sowie Verwünschungen an den Schaffner gehen durch die Menge. Cazzo heißt übrigens wörtlich „Schwanz“, wird aber in eigentlich allen Lebenslagen verwendet: Der folgende Absatz soll dies auf möglichst bildliche Art verdeutlichen. Sanftere Gemüter mögen ihn bitte überspringen.

Du stehst an einer Bar und du stößt das Bier deines Nachbarn um: Cazzo!. Wie nennt er dich dann? Cazzo! Du bist total euphorisch, weil du gerade ein tolles Geschenk bekommen hast? Richtig: Cazzo!. Aber damit nicht genug. Man kann dieses schöne Wort auch sonst überall einbauen oder auch abwandeln. Beispiele gefällig? Gerne! Dein neuer Kollege kotzt dich an? – Lui mi sta sul cazzo! („Er steht mir auf dem Schwanz“); Ist mir ganz egal? – Me ne frega un cazzo! („Das ist mir schwanzegal“); Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten? – Fatti i cazzi tuoi! („Mach deine eigenen Schwänze“); Arschgeige? – Testa di cazzo! („Schwanzkopf“); Was erzählst du für einen Scheiß? – Che cazzo (dici)? („Was erzählst du fürn Schwanz?“); Ich bin komplett ausgerastet? – Mi sono incazzato! („Ich habe mich eingeschwanzt!“); Es geht mir tierisch auf die Nerven! – Mi fa cagare il cazzo! („Es lässt meinen Schwanz kacken“). Etc., etc…

Ich komme jedenfalls mit ein wenig Verspätung in Perugia an und das Kürbis-Risotto schmeckt hervorragend. Auch dafür werde ich mir das Rezept notieren müssen, damit ich es irgendwann auch in mein geistiges Kochbuch aufnehmen kann. Nachdem wir mit der Rollenverteilung für den nächsten Dienstag durch sind, falle ich müde in mein Bett – naja, zumindest hätte ich das gerne getan. Beim Aufschlagen der Decke fällt mir nämlich eine unschöne Überraschung vor die Füße: Eine fette Spinne. Bwwaaaaaah. Als ich gerade ein Glas für die fachgerechte Entsorgung der Halunkin aufgetrieben habe, hat sich diese schon wieder unter meinem Bett verkrochen. Nach ein bisschen Möbelrücken habe ich sie dann endlich – Anscheinend ein garstiges Exemplar der Gattung Zoropsis, bzw. genauer der Art Zoropsis Spinimana, gemeinhin bekannt als Kräusljagdspinne, nicht zu verwechseln mit den Arten der zentraleuropäisch verbreiteteren Wolfsspinnen. Interessanterweise gehört auch die Apulische Tarantel (im Volksmund einfach „Tarantel“ genannt) zu dieser Familie, deren Name sich von der apulischen Stadt Tarent (Táranto) herleitet. Ein Biss dieser Tarantel wurde früher mit dem Phänomen des Tarantismus, der sich in hysterischen Fällen der Tanzwut bis zur völligen Erschöpfung äußert, in Verbindung gebracht – der Volkstanz Tarantella soll witzigerweise sowohl die Symptome nachbilden als auch zu deren Heilung führen. Ahja. Das Exemplar in dem Glas vor mir kann jedenfalls auch beißen und einem damit einen etwa bienenstichartige Erfahrung verpassen. Also definitiv nichts, mit dem man unter einer Decke stecken möchte. Nach der fachgerechten Entsorgung meines Ex-Haustiers komme ich dann endlich nach mehr als 50 Stunden Busfahrt an diesem Wochenende und der etwa gleichen Zeit in Dortmund zur Ruhe.

Rom, die Vierte

Die letzten Tage habe ich größtenteils in der Uni und damit verbracht, die Vorlesungen der letzten Tage nachzuholen. Nach diesen drei Tagen geht‘s heute schon wieder los: Ich befinde mich im Zug auf der Fahrt in Richtung Rom, wo ich bis Montagsabend bleiben möchte. Mein guter Freund Jonas macht aktuell ein Auslandssemester in Nordspanien und hat dort einen Vermieter, mit dem er sich so gut versteht, dass dieser ihn und zwei andere seiner Mieter glatt dazu eingeladen hat, das verlängerte Wochenende in seiner Heimatstadt Rom zu verbringen. Und weil ich gerade ja auch irgendwie in der Nähe bin, habe ich mich auch mal eben eingeladen.

Wir treffen uns am Samstagnachmittag am Bahnhof Termini vorm McDreck, wir begrüßen uns nur kurz, da rennt besagter Vermieter namens Enrico plötzlich wie ein Berserker mit seinem kleinen Rollkoffer quer durch den Bahnhof, mit uns im Schlepptau versteht sich. Jonas und seinen beiden Freunden Jerry und Brian bleibt im römischen Stadtverkehr mittelschwer die Luft weg, wohingegen ich mit italienischer Fußgänger-Straßenverkehrserfahrung fast schon routiniert über die Straßen laufe als ob es nichts Normaleres gäbe. Warum Enrico so rennt, weiß ich nicht, nur, dass er auf dem Weg zu einem Hotel in Bahnhofsnähe ist, das einem Verwandten von ihm gehört. Ganz schön unitalienisch, wie er rennt, aber immerhin ist er auch nicht in der italienischen Provinz aufgewachsen sondern genau hier im römischen Stadtzentrum und das italienische Leben hat er wohl auch schon vor längerer Zeit zugunsten des spanischen aufgegeben. Insofern sei ihm das verziehen.

Auf dem Weg zum Hotel rede ich mit Jonas und Jerry – letzterer hat 2 Jahre lang Italienisch-Sprachkurse gemacht und somit können wir uns irgendwie verständigen. Brian spricht leider nur Spanisch, wodurch die Kommunikation zwischen uns beiden auch eher auf Ähnlichkeiten zwischen dem Italienischen und Spanischen angewiesen ist. Er scheint Italienisch ziemlich gut zu verstehen, aber nicht zu sprechen. Ich hingegen verstehe, wenn er langsam und deutlich Spanisch spricht, maximal grob das Thema. Mit ein bisschen Gestikulieren wird dann aber auch klar, worum‘s geht. Im Hotel angekommen bezieht Enrico ein Einzelzimmer und wir ein Vierer-Zimmer. Eine große Verschnaufpause gönnt Enrico seinen Mietern jedoch nicht – wir brechen sofort zur Stadttour auf.

Auf dem Weg zu einem seiner Lieblingscafés in „seinem quariere“ („seinem Stadtteil“) erklärt mir Enrico, warum er damals nach Spanien gezogen sei und gleichzeitig, was der Unterschied zwischen der italienischen und spanischen Lebensart ist: In Spanien fängt das Leben erst später am Abend an. Man isst nochmal später als in Italien zu Abend und auch die Siesta wird auch richtig ernst genommen. Und der Wein solle stärker sein. Für ihn als Manager eines Nachtclubs scheinen das wichtige Punkte zu sein. Anscheinend hat er die richtige Berufswahl getroffen, denke ich mir. Des Weiteren berichtet er mir von seiner Tradition, der er jedes Mal nachginge, wenn er zurück nach Italien kommt. Erstens: einen Cappuccino trinken. Egal wann. Dass er schräg angeschaut würde, wenn er nach 12 einen Cappuccino bestellen würde, sei ihm scheißegal. Wortlaut: Me ne frega un cazzo. Punkt zwei: er isst ein cornetto con crema. Die gibt es hier jedoch leider gerade nicht mehr. Sind leider schon alle weg. Also müssen andere pasti herhalten, sprich kleine süße Backwaren, in unserem Falle irgendwas mit Blätterteig, Pudding und Kiwi. Der letzte Punkt: eine richtige italienische Pizza essen. Okay, verständlich. Heute Abend will er uns in das Restaurant von einem Freund von ihm mitnehmen um uns seine Lieblingspizza in Rom zu zeigen. Sehr cool. Das alles sagt er übrigens mit einem starken spanischen Akzent voller gelispelter S-Laute und Wörter, die vermutlich Spanisch sein müssen, was manchmal wirklich witzig klingt.

Nach unserer kleinen Kaffeepause starten wir die Stadttour: Bei den Dioclezian-Termen gegenüber vom Bahnhof beginnend gehen wir zur Basilika Santa Maria degli Angeli e dei Martiri, die direkt über den Ruinen der ehemaligen Termen unter der Leitung von Michelangelo ab 1563 gebaut wurde. Weiter geht‘s über die Piazza San Bernardo, auf der die Fontana del Mosè, der Mosesbrunnen, steht, die später einmal Vorbild für den Trevi-Brunnen werden sollte. Im Zentrum steht hier eine Statue von Moses, die zwar gar nicht übel aussieht, aber eben nicht wie die beeindruckende von Michelangelo aus der Basilika San Pietro in Vincoli (siehe entsprechender Blogeintrag), weswegen dessen Bildhauer wohl aufgrund der schlechten Kritiken angeblich Selbstmord begangen haben soll. Der Zweitname des Brunnens (Fontana dell’Acqua Felice) leitet sich über den bürgerlichen Namen (Felice Peretti) des bauwütigen Papsts Sixtus V her, der den Brunnen im Jahr 1587 bauen lassen hat. Besagter Sixtus wurde in der Geschichte dafür bekannt, dass er durch eine dramatische Steuererhöhung im Kirchenstaat zum reichsten Herrscher Europas wurde und direkt am ersten Tag seiner Inthronisierung die Leichen hingerichteter Banditen auf der Engelsburg zur Schau stellte. Das und eine sehr sittenstrenge geistliche Politik brachten ihm letztendlich den Beinamen „Der eiserne Papst“ ein.

Weiter geht‘s zur Barockkirche Santa Maria della Vittoria, in der Berninis vermeintlich schönste Skulptur „Verzückung der Heiligen Theresa“ steht, die auch eine zentrale Rolle in Dan Browns Roman „Illuminati“ spielt. Die Kirche ist Enricos Lieblingskirche; ich hingegen finde sie einfach nur schrecklich überladen. Überall sind Putten, also diese kleinen, dicken, nackten Engel, die einen maximal an kitschige Keksdosen und Verpackungen dieser schrecklichen Duftseifen erinnern, die auf Weihnachtsmärkten verkauft werden. Enrico hat mal Kunstgeschichte studiert, was vielleicht seine Faszination für Stuck, Fries und bunten Marmor erklärt. Für uns ist es jedenfalls gerade ganz unterhaltsam, wenn nicht sogar lehrreich, weil er zu allen Ecken von Rom irgendetwas historisch Relevantes zu erzählen hat. Zum Beispiel, dass diese dämlichen dicken Engel in Wirklichkeit Cherubim und Seraphen, also im Prinzip die Engel ganz am Ende der Engel-Nahrungskette sind.

Wir gehen weiter in Richtung Piazza Barberini, in deren Mitte sich die Fontana del Tritone, der Tritonenbrunnen, befindet. Der namensgebende Triton in der Mitte des Brunnens wurde von Bernini gemeißelt, der ebenfalls den nahegelegenen, sogenannten Bienenbrunnen (Fontana delle Api) erbaut hat – Bienen sind nämlich die Wappentiere der Familie Barberini, die zu dieser Zeit mit Papst Urban VIII auch im römischen Brunnenbau das Sagen hatte. Netter Fakt am Rande: Das Adelsgeschlecht der Barberini kam ursprünglich aus der Toskana, aus der Stadt Barberino, und hieß früher Tafani, sprich „Pferdebremse“. Das Wappen der Familie, drei fette Pferdebremsen, wurde mit der Wahl Maffeo Barberinis zum Papst Urban VIII und dem Umzug der Familie nach Rom kurzerhand mitgeadelt und wurde seitdem durch die wesentlich edleren Bienen geschmückt.

Wir statten dem Palazzo Barberini, in dem sich heute das Kunstmuseum Galleria Nazionale d’Arte Antica (Nationalgalerie Antiker Kunst) und witzigerweise auch das italienische Institut für das Münzsammelwesen bzw. die Numismatik befinden, einen Besuch ab und schleichen ein bisschen durch die Gärten. Das Gelände wurde 1625 vom noch bürgerlichen Maffeo Barberini einem Kardinal abgekauft und der Palast acht Jahre später unter der Leitung von (Überraschung) Bernini fertiggestellt.

Bevor wir uns mit einer Freundin von Enrico zum aperitivo treffen, gehen wir schließlich noch zu „Den Vier Brunnen“ (Le Quattro Fontane) – einer barocken Marmor-Brunnenanlage an einer Kreuzung in der Nähe des Palazzo Barberini direkt oben auf dem Quirinal, einem der sieben klassischen Hügel, auf denen Rom gebaut wurde. Die Vier Brunnen wurden vom Lieblingsbaumeister Domenico Fontana (ja, der heißt tatsächlich Brunnen mit Nachnamen) des schon eben erwähnten „eisernen Papstes“ im Jahre 1588 gebaut. Strategisch und stadtplanerisch ist dem Herrn Fontana damit ein Geniestreich gelungen – die Kreuzung befindet sich gut sichtbar oben auf dem Hügel Quirinal und ist der Schnittpunkt der Sichtachsen zwischen den drei Obelisken auf dem Quirinalplatz, an der Spanischen Treppe und vor der Basilika Santa Maria Maggiore sowie dem Stadttor der Porta Pia. Ganz schöner Fuchs, dieser Brunnen. Symbolisch ist der Brunnen aber auch ganz interessant: An den vier Ecken der Kreuzung befinden sich vier mehr oder weniger lasziv liegende Götterstatuen aus gehauenem Marmor: Juno (die Schirmherrin von Rom) abgebildet mit einer Gans (ihrem heiligen Tier) und einem Löwen (dem Wappentier von Florenz), Diana abgebildet oben-ohne in ihrer Funktion als Fruchbarkeitsgöttin, Arno als Flussgott des gleichnamigen Tals, in dem Florenz gebaut wurde (mit Blumen und einem Löwen, wieder für Florenz) und Tiber, seines Zeichens Flussgott des Tibers, abgebildet mit Wölfin und Füllhorn stellvertretend für Reichtum und Überfluss in Rom. Warum gerade die ganzen Florenz-Anspielungen? Naja, in der Zeit florierte (hust) gerade der Handel mit der Toskanischen Hauptstadt, da kann man die auch mal an einer Kreuzung erwähnen.

Nach der Kultur kommt jetzt das Vergnügen: Die Bekannte von Enrico nimmt uns mit in eine Kneipe und wir bestellen Negroni und Spritz bzw. Bier. Wir bleiben nicht besonders lange und machen uns schon bald auf den Weg ins von Enrico empfohlene Restaurant. Er übergibt seinem Freund, dem Besitzer des Restaurants ein Gastgeschenk (ein Flasche spanischen Rotweins) und im Gegenzug gibt‘s für uns zur Begrüßung direkt etwas Focaccia mit Steinpilzen und den Hauswein. Nach Pizza, Tiramisu und noch mehr Hauswein gibt es dann noch ein Fläschchen Limoncello, das auch nur dezent nach Spüli schmeckt. Wir lassen noch ein Foto von uns machen und versprechen morgen wieder zu kommen.

Bevor wir zurück ins Hotel zurückkehren machen wir noch einen kleinen Spaziergang an der Piazza Navona, am Pantheon und am Trevi-Brunnen und einem Irish-Pub vorbei. Weil es letztendlich doch noch unangenehmerweise anfängt wie bescheuert zu schütten fahren wir (schwarz, aber es interessiert tatsächlich keinen) mit dem Bus zurück zum Hotel und klappen dann komatös in unsere Betten.

Der nächste Tag beginnt mit dem Spätstück bei Cornetti und Keksen. Wir wollen früh zur Basilika Santa Maria Maggiore aufbrechen, die ich inzwischen schon vier Mal gesehen habe. Aber was soll‘s? Der gute Herr Domenico Fontana hat auch diesen Koloss geplant und ganz hübsch ist er von innen ja auch. Enrico verlässt uns recht bald um seine Familie zu besuchen und ich übernehme die Planung des Nachmittags bis Enrico wieder da ist. Ich schlage vor, in Richtung Forum Romanum zu spazieren und die auf dem Weg liegenden Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Die Idee scheint auch den anderen zu gefallen und so gehen wir im Prinzip den Weg, den ich vor ein paar Wochen schon mit Flo und Lukas gelaufen bin: Hoch zu San Pietro in Vincoli (leider gerade geschlossen), die Flohmarkthalle (in der ich mir noch eine rote Fliege fürs Krimi-Dinner kaufe) und dann zum Foro Traiano, dem Trajans-Forum. Wir besichtigen das Viktor-Emanuelsdenkmal Vittoriano und suchen uns dann etwas zu essen: Für Jonas und mich darf es ein Stück Pizza sein, Jerry und Brian zieht es eher ins Fettkabinett von McHerzattacke, vor dem ich gerne ein paar Minuten warte.

Gestärkt geht es weiter zum Kolosseum, bei dem wir tatsächlich als letzte für heute eingelassen werden – in einer Stunde schließt das größte Amphitheater der Welt, aber das soll uns reichen. Wir gehen durch die Ausstellung über das antike Karthago, die bei Jonas und mir ein paar vergessen geglaubte Lateinunterricht-Erinnerungen wachruft und machen dann noch einen Rundgang durch die Tribünen, bevor wir mit der U-Bahn wieder in Richtung Termini fahren um uns mit Enrico im Hotel zu treffen.

Beim Rundgang durchs Kolosseum

Nach einem etwas verspäteten Mittagsschlaf gehen wir wieder in das Restaurant von gestern, das Ristorante Andrea, und essen wie geplant unsere pasta cacio e pepe. Eigentlich war schon das viel zu viel, gerade auch weil wir vorher wieder Focaccia mit Steinpilzen bekommen haben. Deswegen sparen wir uns auch heute den Nachtisch und wollen lieber noch ein Eis essen gehen. Doch anscheinend war unser Mittagsschlaf etwas zu ausgedehnt. Die Eisdiele, zu der wir gehen wollten, hat leider schon geschlossen. Wir holen also nur noch kurz unsere Sachen für unsere nächtliche Stadtwanderung durch Rom – Enrico ist offenbar ein absoluter Nachtmensch und findet naturgemäß die Stadt nachts schöner als tagsüber – und los geht‘s.

Mit Regenschirmen und -jacken sowie ein paar Getränken machen wir uns auf den Weg zum Forum Romanum und gehen die Stufen zu den Kapitolinischen Museen herauf. Alle paar Meter bleiben wir stehen und Enrico berichtet von seiner Jugend in Rom oder der Geschichte der Stadt. Der nächste Halt ist am Carcere Mamertino (lat.: Carcer Mamerinus), oder auch Tullianum genannt, das antike Gefängnis Roms aus dem 3. Jahrhundert v. Chr, in dem die Apostel Petrus und Paulus gefangen gehalten worden sein sollen. Die Kerker haben auch einen direkten Zugang zur Cloaca Maxima, in die die Leichen Hingerichteter geworfen wurden. Die Cloaca Maxima ist ein Teil des antiken Kanalisationssystems Roms, das über einen drei Meter breiten und vier Meter hohen Kanal letztendlich das über die vielen Aquädukte in die Stadt geschaffte Wasser in den Tiber transportierten. Witzigerweise hatte selbst dieser künstlich erschaffene Fluss seine eigene Flussgöttin: Die etruskische Cloacina, später die Venus Cloacina – die Göttin der Reinheit und Sauberkeit. Was auch sonst?

Über die Via dei Fori Imperiali („Straße der Kaiserforen“), die im Auftrag Mussolinis als direkte Verbindung zwischen dem Vittoriano (der Schreibmaschine) an der Piazza Venezia und dem Kolosseum einfach über die antiken Kaiserforen gebaut wurde, bewegen wir uns nun in Richtung Kolosseum. Die Straße wurde 1932 als Via dell‘Impero („Reichsstraße“) von Mussolini zur Erinnerung an die damalige Größe des römischen Reichs eröffnet, die von den Faschisten als Symbol für deren Machtvorstellungen herangezogen wurde. Ironischerweise hat er damit natürlich ein ganzes Sammelsurium von antiken Bauwerken plattgemacht, unter anderem die Reste des Koloss des Nero (Colossos Neronis), der ca. 35 Meter hohen Bronzestatue des Nero, die nach dem Vorbild des Koloss von Rhodos gebaut wurde. 35 Meter! Der Typ hätte der Freiheitsstatue locker auf Augenhöhe begegnen können. Kein Wunder also, dass der Koloss von den kaiserlichen Nachfolgern Neros zuerst in den Sonnengott Sol verwandelt wurde und letztendlich unter Hadrian versetzt wurde (angeblich mit der Hilfe von 24 Elefanten), sodass er direkt vor dem Kolosseum stand, dessen Name sich wohl von dem Koloss ableitet. Nun gut, jedenfalls wurde die Via dell‘Impero nach der Zeit des Faschismus deutlich verschmälert um die darunterliegenden Kaiserforen wieder auszubuddeln und in Via dei Fori Imperiali umbenannt. Um den Touristen zu symbolisieren, zu welchen Kaisern die darunterliegenden Foren jeweils gehören, sind am Rand der Straße vier überlebensgroße Statue von Julius Cäsar, Trajan, Augustus und Nerva aufgestellt. Aktuell wird in Rom an einer dritten U-Bahnlinie gebaut – ein absurdes Unterfangen, wenn man an die auftretenden unterirdischen Funde denkt. Dies wird in Zukunft wohl eine weitere Neugestaltung der Straße nötig machen.

Wir machen noch ein paar witzige Fotos mit den Kaisern und kommen gegen halb 4 am Kolosseum an. Wir bleiben noch ein bisschen an dem Aussichtspunkt stehen und unterhalten uns mit einer Französin, die gerade in Göttingen studiert und machen uns dann eher frühmorgens als spät in der Nacht zurück auf den Weg ins Hotel.

Am nächsten Morgen fällt uns dementsprechend das Aufstehen auch nicht unbedingt leichter. Zum Frühstück geht es in die Bar, wo es neben Cappuccino wieder schrecklich fettig-süße Plunderteilchen gibt. Jonas geht es nicht so gut und er beschließt heute im Hotel zu bleiben während wir uns den Petersdom anschauen. Dort angekommen meint es Petrus offenbar nicht gut mit uns – wie in ganz Italien (man hebe mal Venedig und das aqua alta, das Hochwasser, hervor) fängt es jetzt auch hier sintflutartig an zu regnen. Zu viert quetschen wir uns unter meinen kleinen Schirm und schieben uns Zentimeter um Zentimeter in der langen Schlange vor dem Petersdom weiter nach vorne, bis wir irgendwann in den Kolonnanden stehen. Wir schauen uns den Petersdom und dessen Krypta an. Den Petersdom hatte ich vorher schon zweimal von innen gesehen und finde ihn nach wie vor nicht so wirklich spannend. Ja. Großes Dingen. Richtiger Klopper sogar. Beeindruckend, mhm. Aber so richtig schön ist der doch jetzt auch nicht, oder? Gut, es könnte auch an der Masse nasser Touris liegen, die sich aneinander vorbeischieben um Berninis Baldachin-Ziborium, Michelangelos Kuppel und die „Römische Pietà“ zu sehen und versuchen Fotos davon zu machen. Am besten sind die, die einfach mit dem Selfiestick kontinuierlich filmen, während sie durch die Kirche spazieren. Als ob die sich das irgendwann überhaupt mal wieder anschauen würden… Die Krypta mit den Gräbern der Päpste hingegen sehe ich jetzt das erste Mal: Sie ist Teil der Vatikanischen Grotten, direkt oberhalb der Vatikanischen Nekropole, also dem Gräberfeld, in dem auch das Grab des Apostels Petrus liegen soll. Ein bisschen komisch ist es schon, von so viel geschichtsträchtigem Knochenstaub umgeben zu sein, aber wirklich sehenswert würde ich die Krypta jetzt auch nicht bezeichnen. Sind halt ein paar fette Marmor-Grabplatten mit Papstnamen und Nummern dahinter drauf. Also nichts wie raus hier, es wird eh ein bisschen stickig.

Der gespiegelte Peter

Jonas gibt uns eben eine Statusmeldung durch als wir gerade in der von Enrico empfohlenen Pizzeria sind, die preiswerte Pizza al taglio (manchmal auch al trancio genannt) anbietet, also im Prinzip rechteckige Pizzastücke, die nach Gewicht verkauft werden. Ein paar Nonnen sind auch gerade da, die sich zuvor in einem der Souvenirshops gegenüber wieder ein paar schöne neue Rosenkränze gekauft haben, die es dort in allen Farben, ja sogar solche, die im Dunkeln leuchten, gibt. Jonas geht jedenfalls es nicht so rosig – Enrico schiebt es auf unsere günstige Getränkewahl gestern – und fragt, ob wir ihm etwas Fanta vorbeibringen könnten. Ganz so viel Zeit habe ich nicht mehr, bis mein Zug zurück nach Perugia kommt, also fährt Enrico zu ihm und ich mache mir Jerry und Brian noch einen Spaziergang zum Petersdom, bis wir dann auch mit der Metro zurück zum Hotel fahren. Jonas sieht wirklich nicht gesund aus, ich halte also paar Meter Sicherheitsabstand zu ihm und packe schnell meine Sachen. Ich verabschiede mich von allen, danke Enrico für das schöne Wochenende und die Stadtführung und wünsche Jonas noch eine gute Besserung sowie eine reibungslose Rückreise morgen früh.

Jerry kommt noch eben mit zum Bahnhof um herauszufinden, wann und wie die vier morgen früh mit dem Bus zum Flughafen kommen können: Um 4:30 Uhr, wie sich an der Touri-Info herausstellen soll. Ohgottohgott. Gut, dass ich jetzt schon abreise, denke ich mir. Letztendlich erreiche ich gerade so den Zug und habe keine Zeit mehr meine Fahrkarten abzustempeln. Auf meiner Hinfahrt im August hatte ich Glück gehabt, eine nette Kontrolleurin erwischt zu haben, die mich gerade noch so durchfahren lassen hat, nachdem sie mein Ticket nachträglich abgestempelt hatte. Doch jetzt sitze ich schon im Zug am ca. 5 Minuten Fußmarsch von den Ticketstempel-machinette entfernten Ost-Gleis. Also keine Chance. Ich improvisiere und kritzele soetwas wie „convalidato a Roma Termini, 18:00, 18.09.2019“ darauf und drücke mir selbst die Daumen, dass das bei der Kontrolle durchgehen wird. Ein paar Geschäftsmänner im Vierersitz neben mir erklären mir netterweise nochmal, wie das normalerweise laufen sollte, sehen aber auch ein, dass ich jetzt eigentlich keine andere Wahl mehr habe und drücken mir auch die Daumen. Bzw. auf Italienisch: In bocca al lupo! („Im Wolfsmaul!“). Was genau die richtige Antwort auf diesen Glück-Wunsch ist, darüber streiten sich selbst die Italiener. Die eine Fraktion sagt Crepi (il lupo)! („Möge der Wolf sterben!“) , die anderen sagen Viva (il lupo)! („Möge er leben!“) und nochmal andere sagen einfach Grazie! („Danke!“). Ersteres klingt dann ein bisschen wie das Deutsche Hals- und Beinbruch! oder das englische Break a leg!. Dass eigentlich „Viva!“ die korrekte Antwort wäre, wird dadurch begründet, dass das Maul der legendären Wölfin, die Romulus und Remus einmal gerettet hat, ein besonders sicherer Ort sein soll und man sich glücklich schätzen sollte darin zu sein. Entgegnet man jedoch einfach gar nichts, bringt es auf jeden Fall Unglück, da sind sich alle einig, die ich bisher gefragt habe. Ich bleibe jedenfalls auf der sicheren Seite und lasse den Wolf weder leben noch sterben sondern bedanke mich einfach so. Und wenig später stellt sich tatsächlich heraus: Das Wolfsmaul ist sicher und il controllore findet meine Lösung sowohl kreativ als auch ausreichend. Viva il lupo!

Im Schatten der Premiere – das Geburtstags-Krimidinner

Gestern kam ich erst spät am Bahnhof von Perugia an. So spät, dass leider keine Minimetrò mehr gefahren ist, wodurch ich letztendlich deutlich später nur noch auf dem Zahnfleisch kriechend mein Bett erreicht habe. Entsprechend wenig verwundernd ist auch, dass ich meinen Wecker verschlafe und zu spät zu meiner Vorlesung in die Uni komme. Ganz schön unangenehm bei so einer 3-Personen-Veranstaltung, aber da machste jetzt auch nichts mehr, denke ich mir. Der Prof sieht es jedenfalls dankenswerterweise nicht so eng. Nach der verbleibenden halben Vorlesung gehe ich direkt wieder nach Hause um noch meine Rolle für das Krimi-Dinner heute Abend komplett zu verinnerlichen: Ich bin Franz T. Thormayr, ein angesehener Prager Diplomat, der in den 1920er das Königreich Böhmen in Wien und Paris vertritt. Heute Abend bin ich zum Abendessen nach der Premiere eines Theaterstücks meines guten Freunds Josef Tycha bei ihm eingeladen. Jeder hat eine Rolle zugeordnet bekommen und wird diese nun heute Abend verkörpern müssen. Treffen werden wir uns im Speisesaal der Villa Tycha – sprich bei Johanna und Federica im Wohnzimmer. Ich recherchiere noch ein bisschen, was denn damals in Prag Sache war und ziehe mich dann entsprechend an – einen Frack habe ich leider gerade nicht zur Hand, aber ein Hemd und die Fliege, die ich in Rom gekauft habe werden es wohl auch tun, denke ich und breche auf.

Ich betrete die Villa der Familie Tycha und bin komplett von den Socken – alle haben sich schon komplett mit ihren Rollen arrangiert und das Wohnzimmer sieht tatsächlich aus wie für eine festliche Tafel gedeckt: Auf dem langen Holztisch stehen lange, weiße Kerzen, in der Ecke prasselt ein Kaminfeuer (im Fernseher) und im Hintergrund läuft leise Die Moldau. Die Wände sind geschmückt mit Plakaten zu Theateraufführungen und insgesamt weckt der Raum eher Gefühle einer rauschenden Ballnacht als nach einem Standard-Wohnzimmer. An der Wand hängt ein großer Spiegel, der den sowieso schon großen Raum noch größer wirken lässt als er ist und das Mobiliar sieht auch aus wie in einem Barockschloss. Dazu noch ein großes Bücherregal mit Klassikern der Weltliteratur sowie eine dicker Enzyklopädie-Reihe und eine liebreizende Haushälterin, gespielt von Sophie und die Illusion ist perfekt. Da fällt es nicht schwer in die Rolle zu schlüpfen und Lukas mit seiner Pfeife sofort als „meinen alten Freund Josef“ zu begrüßen und mit dem aufstrebenden Schrifsteller Verena (mit angemaltem Bartschatten und schwarzem Hemd) eine kurze Unterhaltung zu seinen Gedichten anzufangen. Herrlich. Federica spielt die hübsche und wohlerzogene Tochter von Josef Tycha (also Lukas), Ariane hingegen seine modebewusste Frau. Sara spielt stilecht mit Netzhandschuhen und Zigarettenhalter die Besitzerin des Etablissements „Le petit rouge“ und die von allen nur „Babitschka“ genannte Baronin, die bei jeder Theateraufführung im Publikum sitzt, wird von Hannah gespielt. Dazu kommt noch die beste Freundin von Tychas Tochter, gespielt von Jane und schlussendlich unsere selbstbewusste Ermittlerin Johanna.

Doch eine Person fehlt: Die bezaubernde Schauspielerin, die gerade ihre Premiere im Theater hatte wird tot in der Villa Tycha aufgefunden – und der Mörder muss (aus mir unerfindlichen Gründen, aber so funktioniert das Spiel) am Tisch sitzen! Das Dinner beginnt und nun liegt es an uns, unsere Rollen so glaubwürdig wie möglich zu verkaufen, damit wir nicht von unserer Ermittlerin verdächtigt werden. Wir essen und trinken, tanzen und diskutieren bis in die frühen Morgenstunden – stets mit stilechter Musik im Hintergrund bis wir letztendlich den Fall gelöst haben. Wer es letztendlich war, darf ich natürlich nicht verraten. Verraten kann ich aber, dass die selbstgemachte pasta all‘arrabbiata absolut köstlich war und der Abend auf jeden Fall als einer der besten hier in meiner Erinnerung bleiben wird – Dankeschön für das tolle Geburtstagsgeschenk!

Florenz, die Wiege der Renaissance

Die vergangene Woche ließ nicht viel Zeit um sich zu entspannen: Montagnacht die Rückkehr aus Rom, Dienstag Uni und Krimidinner, Mittwoch Uni und ein gemeinsames WG-Pizzabacken und Donnerstag ebenfalls Uni und schließlich noch Physik-Nachhilfe auf Italienisch für Erica, die im Nebenfach bei Helios Physik hört und zuletzt bei der Relativitätstheorie nicht ganz durchgestiegen ist. Jetzt ist Freitag und es geht schon wieder los, und zwar dieses mal nach Florenz – oder Firenze, wie der Italiener sagt. Am frühen Nachmittag treffen wir uns am Bahnhof und machen uns auf den Weg in die Stadt mit dem berühmten roten Dach auf dem Dom, der Stadt der Medici, von Dante Alighieri, Leonardo da Vinci, Michelangelo und Galileo Galilei – kurzum: die Wiege der Renaissance.

Wir erreichen den Bahnhof, genannt Santa Maria Novella und treffen auf Flo, der gestern noch für einen Tag in Bologna war. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Hostel – den Weg dorthin kenne ich ja immerhin schon mehr oder weniger. Hannah ist spontan mitgekommen und bekommt leider kein Zimmer mehr. „Kein Problem“, denken wir uns, „die wird schon irgendwo bei uns unterkommen können“ und machen uns auf die Suche nach etwas Essbarem. Nach kurzer Suche finden wir ein nettes und nicht zu teures Restaurant, vor dem uns der Kellner draußen anspricht und uns nicht zu sehr wie einer dieser Touristen-Fänger erscheint. Gut angeheitert und sattgegessen kehren wir zurück ins Hostel, wo wir uns noch die Zeit mit etwas Stadt-Land-Gewässer-Pflanze-Mordmotiv vertreiben. Morgen wollen wir recht früh zu einer Free-Walking-Tour aufbrechen, also zu einem geführten Spaziergang durch Florenz, der von einer Einheimischen betreut wird, die dann hier und da mal etwas zu verschiedenen Punkten der Stadt sagen wird und sich freut, wenn man am Ende noch etwas Geld da lässt. Wir kehren nach und nach auf unsere Zimmer zurück; auf dem Gang begegnet Flo noch dem Rezeptionisten, der Hannah noch nicht wieder das Hostel verlassen sehen hat und nun ein wenig skeptisch wird und ankündigt, gleich eine Tour durch die Zimmer zu machen. Wir schieben uns also gegenseitig Hannah zu, bis der Rezeptionist mit seiner Suchaktion durch ist und schaffen es so, sie trotz des komplett ausgebuchten Hostels noch hier bei uns schlafen zu lassen. Glück gehabt.

Am nächsten Morgen sehen alle wegen der unruhigen Nacht in den großen Zimmern mit quietschenden Etagenbetten voller Schnarcher ein wenig derangiert aus und haben das Frühstück im Cafè dringend nötig. Danach brechen wir zur Free-Walking Tour beginnend am Palazzo Strozzi auf und besichtigen zusammen die Basilika Santa Trinita, die tatsächlich „Trinita“ (mit Betonung auf dem ersten i) und nicht „Trinità“ heißt, wie es das Standard-Italienisch verlangen würde. Besonderen Wert legt unsere witzige florentinische Tour-Führerin Debby auf die Cappella Sassetti, in der sich das große Fresko Storie di San Francesco, ein Meisterwerk von Domenico Ghirlandiao, dem Lehrer Michelangelos, befindet. Vor der Kirche erklärt uns Debby, dass sich jeder Gebäude- und Platzname in Florenz auf die zugehörige Kirche in der Nähe beziehe. So hieße beispielsweise der Bahnhof deswegen wie er heißt, weil „Santa Maria Novella“ eben die nächste Kirche sei. Entsprechend befinden wir uns gerade auf der Piazza Santa Trinita und selbst die kleinen Eisdiele nebenan hat diesen Namen.

Unser nächstes Ziel ist die Piazza della Signoria, auf der sich nicht nur der Palazzo Vecchio befindet sondern sich auch jede Menge Statuen tummeln – so viele, dass wir bis Weihnachten dastünden, wenn sie zu jeder etwas sagen müsste, sagt Debby. Die wichtigsten sind jedoch die von Cosimo I de‘ Medici, die des Neptun auf der Fontana del Nettuno und (vor allem) die Statua del David, die wirklich weltbekannt ist. Dazu kommen dann noch „Der Raub der Sabinerinnen“ (Ratto delle Sabine) sowie „Perseus mit dem Medusenhaupt“ (Perseo con la testa di Medusa), die ich mal der Reihe nach etwas beschreiben möchte. Faszinierend waren die ja schon irgendwie.

Aber schön der Reihe nach: Cosimo war der Herzog von Florenz, später der Großherzog der Toskana, der sich wohl als Inkarnation des Fürsten von Niccolò Machiavelli sah. Er hatte Eleonora von Toledo als Frau, die (so berichtet es zumindest Debby) stets auf der Suche nach einer standesgemäßen Unterkunft mit einem schönen Garten innerhalb von Florenz für die beiden war und nie wirklich glücklich damit wurde im Palazzo Vecchio mit ihm zu hausen, der heute als Rathaus von Florenz dient und leider Gottes keinen Garten für die schöne Eleonora aus Spanien beinhaltete.

Die Davidstatue hingegen ist wohl die bekannteste Statue, die es so gibt. Michelangelo hat sie aus einem Stück Marmor gemeißelt, sie ist mehr als fünf Meter hoch, wiegt knappe sechs Tonnen und zeigt den jungen David aus der Bibel, der gleich dem Riesen Goliath mit seiner Steinschleuder den Garaus machen wird. Das Orginal steht inzwischen in der Galleria dell’Accademia, einem nahegelegenen Kunstmuseum, aber auch die Kopie die hier auf dem Platz steht ist schon phänomenal – allein die kleinen Venen auf der Hand, in der er den Stein hält, sind absolut naturgetreu und lassen es tatsächlich so wirken als ob er gleich zu seinem finalen Zug ausholen würde.

Der Raub der Sabinerinnen ist eine Statue von Giovanni da Bologna, die den Mythos der ersten Erweiterung der Stadt Rom durch eine List Romulus abbildet: Das antike Rom war sehr männlich – zu männlich um irgendwie lange Bestand zu haben, also lud Romulus die Bewohner der umliegenden Dörfer ein, unter anderem die Sabiner und deren holde Sabinerinnen. Mitten in der Veranstaltung rissen sie den Sabinern ihre Binchen weg und heirateten sie einfach. So‘n Mist aber auch, dachten sich die Sabiner und versuchten dann Jahre später mit einem ganzen Heer ihre Töchter und nun Ex-Frauen wiederzubekommen. Diese wiederum hatten es sich in Rom inzwischen gemütlich gemacht und waren Mütter geworden, sodass sie sich versöhnend zwischen die beiden Fronten stellten, damit sich ihre Männer und Väter nicht gegenseitig abmetzelten. Und so war plötzlich Frieden zwischen Rom und der Region, die vom legendären Titus Tatius geführt wurde, und Rom ein ganzes Stück größer.

Direkt daneben befindet sich „Perseus mit dem Medusenhaupt“ – eine Bronzestatue in der Loggia dei Lanzi, die den aus der griechischen Mythologie stammenden Perseus mit dem abgeschlagenen Kopf der Medusa in der einen und dem Sichelschwert des Hermes in der anderen darstellt. Bestens ausgestattet zu seiner Heldentat, die Schrecklichste der drei Gorgonen-Schwestern zu töten, die jeden mit einem bloßen Blick in die Augen in Stein verwandelt, wurde er von Hermes, den Nymphen und Athene mit Tarnkappe, Flügelschuhen, Zaubertasche und Spiegelschild. Zu seinen Füßen liegt recht unangenehm anzusehen der Rest der Medusa, die jetzt eben nur noch einen Stumpf als Hals hat, aus dem irgendein ekliger Blutschmodder raustropft. Das Ganze ist ziemlich martialisch aufgearbeitet und mit viel Liebe zum Detail, die noch heute sichtbar ist, obwohl die Statue nun auch schon knapp 500 Jahre alt ist. Sie wurde damals als vermutlich wirksame Machtdemonstration gegenüber den Florentinern aufgestellt. Das Schwert des Perseus ist interessanterweise auch nicht nach unten gerichtet sondern direkt auf den Beobachter der Statue, also zum Volk von Florenz. Soviel zum Machiavellismus von Cosimo. Noch etwas anderes: Normalerweise mussten sich zu dieser Zeit die Künstler irgendwie in ihre Werke reinmalen oder -meißeln um wiedererkannt zu werden; Lesen konnte man damals schließlich noch nicht. Hier hingegen wäre das irgendwie seltsam gewesen, der jugendliche Perseus passt nicht so ganz zum alten, dicken Benvenuto Cellini, der die Statue herstellte. Also hat er sich der alte Fuchs einen schlauen Trick ausgedacht und sein Gesicht einfach hinten zwischen die Flügel am Helm des Perseus gesetzt. Wäre ich jetzt so nicht drauf gekommen, aber Debby weiß Bescheid und klärt uns auf.

Das Gesicht von Cellini auf der Rückseite von Perseus Kopf

Aber genug von alten Statuen: Wir legen eine kurze Trinkpause ein und treffen uns zwanzig Minuten später wieder um mit dem zweiten und letzten Teil der Tour fortzufahren. Debby erklärt uns vor den Uffizien, wann man sich mit welchem Ticket wo anstellen muss und es erinnert nur ein µ an die Wirren des Passierscheins A38 – Die spinnen, die Florentiner. Aber egal, jetzt wissen wir wenigstens, wo wir uns morgen anstellen müssen. Die Uffizien waren bis 1580 ein Gebäudekomplex, der Ministerien und Ämter beinhaltete. Dann entschloss man sich, daraus das erste „öffentlich“ zugängliche Kunstmuseum zu machen und es Galleria degli Uffizi zu nennen. Heute sind die Uffizien eine der bekanntesten Kunstsammlungen für Malerei und Bildhauerei für Antike bis Spätbarock und ziehen knapp 2 Millionen Besucher pro Jahr an.

Die Tour führt uns weiter an den brackigen Ufern des tiefstehenden Arno vorbei und schließlich auf den Ponte Vecchio (die „alte Brücke“), der tatsächlich alt ist: 1345 wurde die Steinbrücke gebaut und hat sogar den zweiten Weltkrieg überlebt: Hitler hat sie als einzige Brücke in Florenz aus irgendwelchen mysteriösen Gründen verschont. An den beiden Seiten der Brücke befinden sich Holzhäuser in denen ursprünglich die Metzger und Gerber der Stadt hausten, bis der uns schon bestens bekannte Cosimo irgendwann herausfand, dass es gar nicht mal so schön ist, wenn diese immer ihre Schlachtabfälle und das Pferdepipi in den Arno kippen und damit alles mittelschwer zum Muffen bringen. Folglich hat er per Dekret angeordnet, dass von 1565 an nur noch Goldschmiede auf der Brücke arbeiten und verkaufen dürfen, was sich tatsächlich bis heute durchgesetzt hat. Im gleichen Jahr wurde ebenfalls von ihm befohlen, einen „geheimen“ Privatgang vom Palazzo Vecchio zum Palazzo Pitti, dem Renaissance-Palast mit den angrenzenden Boboli-Gärten anzulegen. Gesagt, getan. In knappen fünf Monaten hat Giogrio Vasari diesen knapp einen Kilometer langen, überdachten Gang (ganz ähnlich dem Gang Passetto di Borgo in Rom zwischen Petersdom und Engelsburg) geplant und errichten lassen, weswegen man ihn heute den Corridoio Vasariano kennt, den Vasarikorridor) nennt. So richtig heimlich war es dann aber doch nicht, schließlich sieht man den Gang bestens, wenn man gerade über den Ponte Vecchio in den südlichen Teil der Stadt läuft. Tatsächlich ist dies auch die einzige Stelle, an der der Gang um ein Haus herum gebaut wurde, anstelle davon, einfach mitten durch zu führen. Anscheinend waren die Hauseigentümer reich genug um nicht direkt deswegen eingekerkert zu werden.

Der Ponte Vecchio und der Vasarikorridor

Wir gehen noch beim Palazzo Pitti vorbei und bewundern seine Klotzigkeit (ähm, sein sogenanntes Bossenwerk) und beenden dann kurz darauf unsere Tour: Debby gibt noch schnell eine von ihr handgeschriebene Liste mit Restaurant-Empfehlungen und weiteren Tipps für unseren Aufenthalt zum Abfotografieren rum und erklärt uns, dass wir uns gerade am besten Punkt für ein gutes aber nicht zu teures Mittagessen befänden – ha, da haben wir doch gestern gut gepokert. Wir stehen nämlich wie der Zufall es so will, gerade vor dem Restaurant in dem wir auch gestern Abend waren. Doch das Geld für das Essen im Restaurant wollen wir uns jetzt lieber sparen. Wir danken Debby für die schöne Tour und geben ihr noch ein angemessenes Trinkgeld und schwärmen dann aus um alles für einen kurzen Mittags-Imbiss im Hostel zu besorgen, also Brot, Käse und frische Weintrauben vom Markt.

Nach dem Essen steht eine kleine Besichtigung der Kathedrale von Florenz auf dem Plan von Hannah, Flo und mir. Die anderen wollen sich lieber die Bobuli-Gärten und den Palazzo Pitti anschauen, der insgesamt sieben Museen beinhaltet – von Gemälden bis zu königlichen Gemächern, Silber und Kutschen ist alles dabei, was mich aber eher abschreckt.

Die Kuppel der Kathedrale ist wohl das Wahrzeichen der Stadt. Einerseits natürlich, weil sie einer der markantesten Punkte der Silhouette der Stadt ist, aber auch, weil sie von innen mit einem gigantischen Fresko bedeckt ist, das übrigens auch vom schon erwähnten Vasari begonnen wurde, der nebenbei auch der Vater der Kunsthistorik ist. Er war Biograph von da Vinci, Raffael und Michelangelo und hat nebenbei noch die Worte „Gotik“, „Manierismus“ und „Renaissance“ erfunden, bzw. als erster in dem Kontext benutzt, in dem wir sie heute immer noch verstehen. Nachdem wir nur eine knappe halbe Stunde in der Schlage gewartet haben (der Nebensaison sei Dank) stehen wir nun unter der Kuppel und versuchen irgendwie die Details der Zeichnungen an der Decke in über hundert Metern Höhe zu erkennen, was eigentlich absolut nicht drin ist: Hunderte von christlichen Symbol-Figuren tummeln sich um einen auf einer Wolke sitzenden Jesus, alles ist voll mit kleinen, dicken Trompeten-Engeln und Teufeln, die böse Sünder ins Fegefeuer werfen. Nochmal wird mir klar, dass ich echt bald mal Dante Alighieris Inferno lesen sollte, ist ja doch irgendwo relevant mit den ganzen Höllenkreisen und dem ganzen anderen Kram. Aber vor allem wird mir klar, dass ich‘s morgen mega im Nacken haben werde, wenn wir uns jetzt nicht bald vom Acker machen und ich endlich mal wieder meinen Kopf in eine weniger vertikal nach oben gestreckte Position bringen kann.

Das Fresko an der Innenseite der Kuppel

Wir machen noch eine kurze Nacken-Entspannungs-Kaffeepause um wieder etwas Motivation zu tanken und spazieren dann in aller Ruhe zurück zum Hostel, wo wir mit den anderen Nudeln kochen und auch diesen Abend mit einer gelungenen Runde Stadt-Land-Gewässer-Pflanze-Mordmotiv (plus zahllose weitere Kategorien, versteht sich) beenden. Witzigerweise lernen wir im Hostel noch ein paar internationale Studis aus Russland, Tadschikistan und Mexiko kennen, die aktuell im östlichen Sachsen, in Zittau (wo die AfD mit knapp 24% die stärkste Kraft ist, Holla, die Waldfee) in einen Ingenieurstudiengang eingeschrieben sind und aktuell eine Europa-Tour machen. Das ist nun wirklich kein Ort an dem ich als Ausländer studieren wollen würde… aber anscheinend scheint es sich für die drei zu lohnen. Wir plaudern ein bisschen über unsere jeweilige Heimat, Erasmus und Sachsen, doch letztendlich werde ich irgendwann zu müde und muss den Dreien eine gute Nacht und eine gute Zeit im Osten wünschen. Wieder einmal fasziniert davon, wen man so alles in Hostels kennenlernt poltere ich noch ein bisschen im schon voll besetzten Schnarcher-Zimmer rum und finde dann auch mindestens eine halbe Mütze Schlaf.

Der nächste Tag beginnt wieder im Café, wo wir offenbar einer Stammkundin ihren Platz geklaut haben, die seit einhundertelfzig Jahren jeden Morgen an einem bestimmten Tisch sitzt um ihren Cappuccino zu trinken. Können wir ja nicht wissen. Wir beobachten noch ein paar Menschen, die draußen am Café vorbeilaufen und bemerken, dass die Leute hier im Allgemeinen gestresster und teurer angezogen aussehen als in Perugia. Und irgendwie individueller. Eben großstädtischer. Dabei hat Florenz nicht mal 400.000 Einwohner. Doch heute wollen wir keine Leute beobachten, zumindest keine lebenden: Wir machen uns gemeinsam auf den Weg zu den Uffizien, wo wir nach nur einer knappen halben Stunde Warten ins Museeum kommen. Im Sommer wartet hier schon mal gerne ein paar Stunden.

Direkt vorweg: Lukas, Flo und ich haben die Ruhe weg – wir werden hier heute knappe acht Stunden verbringen und den weiblichen Teil unserer Reisebegleitung schon im ersten von einhundert Sälen zu Tode langweilen, indem wir bestimmt zwanzig Minuten versuchen irgendwelche lateinischen Inschriften zu entziffern. Aber immer der Reihe nach: Die Kunstwerke in den Uffizien sind zu meiner Freude chronologisch sortiert und es gibt einen Rundgang, der einen alles sehen lässt – zur Abkürzung bleibt einem im Zweifelsfall jedoch immer den Gang durch den zentralen Gang, an dessen Rändern sich antike römische Skulpturen befinden – ein bisschen wie bei Ikea, nur dass die Abkürzung kein Geheimgang ist und einem nicht andauernd jemand mit einem dicken Einkaufwagen voll mit Teppichen und Duftkerzen in die Hacken fährt. Die Eindrücke, die ich in den Uffizien gesammelt habe sind ziemlich vielfältig. Vor allem aber hat es das Museum irgendwie geschafft, mich dafür zu begeistern, wie sich die Kunst mit der Zeit entwickelt hat: Farben verändern sich, Proportionen und Perspektive verschieben sich, andere Dinge richten sich in den Vordergrund, Zeichentechnik und Materialien ändern sich. Die Motive ändern sich nicht unbedingt, nur die Sichtweise auf sie. Schönheitsideale sind auch nur Schall und Rauch und die Binsenweisheit vom Aussortieren des Kleiderschranks gilt auch hier: Irgendwann kommt alles wieder. Und irgendwie ist es auch nachvollziehbar, warum das zwischen 1300 und 1800 alles so passiert ist. Zumindest wird einem das in diesem Museum so suggeriert. Aber das Beste ist: Man kann Ewigkeiten davorstehen und findet immer wieder Details, die einen überraschen oder nachdenken lassen können, wenn man sich mal drauf einlässt. Verrückt, ich hätte nicht gedacht, dass mich soetwas so sehr begeistern kann… Irgendwann möchte ich nochmal hierher kommen. Dann weiß ich auch, dass nach den ersten 100 Jesus-Maria-Apostel-Gemälden nur noch weitere 900 kommen werden und habe am Ende noch etwas mehr Zeit und Aufnahmefähigkeit für „Die Geburt der Venus“, Caravaggio, Rembrandt und El Greco – die haben mir nämlich besonders gut gefallen.

Ein paar Stauten im zentralen Gang der Uffizien

Geplättet von diesen ganzen Eindrücken gehen wir im inzwischen ziemlich winterlichen Florenz zum Hostel und Hannah und ich verabschieden uns von den anderen und machen uns wieder auf den Weg nach Perugia – morgen ist für uns wieder Uni angesagt.

So, das war‘s mal wieder. Entschuldigt bitte, dass ich dieses mal einen stärkeren Fokus auf die Sachen gelegt habe, die bei meinen beiden Touren durch Rom und Florenz berichtet wurden und ich weniger darauf eingegangen bin, was unter der Woche so passiert ist. Aber vielleicht war auch das mal ganz interessant. Mir hat es auf jeden Fall die Möglichkeit gegeben, nochmal ein bisschen weiter zu recherchieren und wieder etwas besser zu verstehen, warum Italien eben nicht nur fürs Essen sondern auch für seine Kunst und Kultur berühmt ist. Aber gut, jetzt soll‘s auch genug sein. Inzwischen bin ich nämlich auch schon wieder fast eineinhalb Wochen aus Florenz zurück und bis Weihnachten ist es auch nicht mehr weit. Vermutlich werde ich bis dahin nur noch einen Blogeintrag veröffentlichen, aber vielleicht schaffe ich es dann ja auch wieder, mich etwas kürzer zu fassen. Bis dahin und viel Freude bei Glühwein, Lebkuchen und Dominosteinen wünscht euch euer Carlo. Peace!

Geschrieben am 5. Dezember 2019