Die erste Woche in Italien
Was bisher geschah
Nach einem langen Sommer in Aachen, Dortmund und den österreichisch-deutschen Alpen bin ich letzte Woche nach Perugia für mein Auslandssemester in Italien gereist. Mit gemischten Gefühlen aber positiv beeindruckt von der deutschen Bahn bin ich in München angekommen, habe mir drei Waffeln, die meine Oma gebacken hatte, einverleibt und bin in den Nachtzug in Richtung Rom eingestiegen.
Meine Ankunft in Perugia
Der Nachtzug erreichte nicht wie geplant sein Ziel. Durch eine defekte Lok und Bauarbeiten zwischen Bologna und Rom fand ich mich frühmorgens um kurz vor fünf in irgendeinem verlassenen Dorf irgendwo in der Region Emilia-Romagna wieder. Da mit dem Stillstand des Zuges auch die Klimaanlagen im Zug still standen und somit innerhalb kürzester Zeit tropische Temperaturen im Zug herrschten, verließen die meisten der Fahrgäste völlig übernächtigt den Zug — netterweise gab’s immerhin ein Miniatur-Frühstück bestehend aus einem Papp-Croissant mit Nutella und O-Saft. Nach der zweistündigen Zwangspause bis der Ersatz-Zug eintraf sowie zwei folgenden Umstiegen in Bologna und Arezzo in der Toskana kam ich nach genau 24 Stunden im Bahnhof von Perugia an. Und wurde natürlich sofort von der Polizei in rasend schnellem Italienisch nach meinem Ausweis gefragt. Gut, dass die bei mir auf Nummer sicher gehen…
Raus aus dem Bahnhof an die frische Luft. Denkste. Ich befinde mich in Italien und es ist früher Nachmittag: Offensichtlich ballert der Lorenz, wie er es in Deutschland sonst nur zu den hohen Feiertagen tut. Vor mir liegt laut Google ein kurzer Fußweg von einer halben Stunde bis zum Hostel. Also, nichts wie los, bevor es noch wärmer wird. Rückblickend betrachtet war das nicht besonders schlau: Das centro storico (das historische Zentrum und damit auch das Hostel) der Stadt befindet sich immerhin fast 200 Höhenmeter oberhalb des Hauptbahnhofs und es gäbe tatsächlich eine Möglichkeit, schnell in die Innenstadt zu kommen: Die Minimetrò. Aber egal, ich war ja die letzten paar Wochen ja eh schon in hochalpinem Gelände wandern. Was solls. Denkste. Der gewichtige Unterschied lag mir jedoch in den Händen: knapp 40 kg Gepäck, verpackt in Sporttasche, Rücksack und einem Koffer mit offensichtlich viel zu kleinen Rollen für die mittelalterlichen Straßen. Nachdem ich stoßgebethaft wünschte, dass mir jetzt bloß keine der Mini-Rollen abbricht, passierte tatsächlich ein Wunder: Ein Auto mit einem italienischen Studenten am Steuer hält neben mir und der Fahrer bietet mir an, mich bis zum Hostel zu fahren. Er wirkt sympathisch und weniger wie ein Entführer, von daher steige ich ein und er bringt mich innerhalb kürzester Zeit zum Hostel. Die Fahrt beinhaltete nicht nur eine erste, kurze Wiederbelebung meiner Italienischkentnisse aus den vergangenen Uni-Kursen sondern auch eine kleine Stadtführung mit Empfehlungen der besten Bars und Mercoledì Rock, anscheinend eine regelmäßig stattfindende Rock-Party in Perugia, die mir wohl gefallen würde. Kurz noch Nummern tauschen, ein Selfie machen und schon bin ich früher als erwartet im Hostel und habe die erste nette Person in Perugia kennengelernt. Hammer!
Das Hostel ist modern eingerichtet und perfekt auf die Bedürfnisse der überwiegend bagpackenden, jugendlichen Gäste ausgerichtet: Günstig und mit gratis WLAN. Nach einer Verschnaufpause lasse ich mir ein günstiges Restaurant mit Gerichten der umbrischen Küche empfehlen (quasi italienisches Fast Food, nur eben günstig, megalecker und regional). Ich entschließe mich zu einem spontanen Spaziergang durch die Stadt.
Una Passeggiata a Perugia
Ich lasse bei meinem ausgedehnten Spaziergang die letzten Tage Revue passieren und bin überrascht, wie die Stadt mit fortschreitender Uhrzeit immer mehr aus ihrer Siesta erwacht. Nach ein paar Stunden habe ich die Rocca Paolina (eine Festungsanlage aus dem 16. Jahrhundert mit unzähligen Tunneln, die teilweise mit Rolltreppen durchzogen sind), die Università per Stranieri (die Ausländeruni, an der u.a. Sprachkurse angeboten werden), die Università degli Studi (die Uni, an der ich ab Oktober weiter Physik studieren werde) sowie gefühlt zehntausende, einladend aussehnde kleine Restaurants, Pizzerien, Eisdielen und Manufakturen für dieses und jenes in den mittelalterlichen Gassen gesehen. Zum Schluss gehe ich wieder zurück zur Piazza IV Novembre, die sich inzwischen mit Horden von italienischen Studierenden gefüllt hat. Alle sitzen dicht gedrängt auf den scalette, den Treppchen, vor dem Dom von Perugia, der Cattedrale di San Lorenzo, und unterhalten sich, einige mit Plastikbechern gefüllt mit Bier in der Hand. In der Mitte des Platzes befindet sich ein großer Springbrunnen, die Fontana Maggiore. Wie hätte man das Ding auch sonst nennen sollen? Ich entschließe mich dazu, mir diesen Platz in den nächsten Tagen auf jeden Fall nochmal genau anzusehen. Aber erstmal zurück ins Hostel: Die Eindrücke, die ich in den letzten 36 Stunden gesammelt habe, müssen verarbeitet werden.
Ciao, sono uno studente tedesco e attualmente sto cercando una stanza …
Am nächsten Morgen wache ich früh auf und freue mich auf das gebuchte Frühstück für die nächste Woche, das schon auf dem Bild im Internet hervorragend aussah: Bio-Müsli mit frischen Früchten, dazu Fruchtsaft, Tee und umbrische, süße Kekse. Gestärkt beginne ich meine Arbeit der nächsten Tage: Die Wohnungssuche. Ich schreibe den immergleichen Text an diverse Leute. Praktisch immer bekomme ich eine Absage mit der Begründung, dass solo studentesse (also nur Studentinnen) erwünscht wären, der Einzug erst in ein paar Wochen möglich wäre oder aber nur Mietverträge über mindestens ein Jahr abgeschlossen würden. Immerhin wünschen mir die meisten noch viel Erfolg bei meiner weiteren Suche.
Frustriert von den Startschwierigkeiten, freunde ich mit einer Bagpackerin aus Belfast und einem Studenten aus Toronto an. Die beiden sind super nett und sind froh jemanden gefunden zu haben, der zumindest ein bisschen Italienisch spricht — Italienisch zu verstehen und auch (mit gewissen Grenzen) sprechen zu können, sei tatsächlich ganz hilfreich, gebe ich zu. Abends machen wir zusammen einen kleinen Stadtspaziergang, der natürlich auf den scalette enden muss: Wir reden über Gott und die Welt und verstehen uns wirklich hervorragend, was meine durch die erfolglose Wohnungssuche getrübte Stimmung deutlich hebt. Nach zwei Bieren auf den von der mediterranen Sonne aufgewärmten Stufen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.
Der nächste Tag verläuft ähnlich, nur, dass wir abends noch einen Abstecher zu einer Pizzeria machen und uns voneinander verabschieden müssen: Grania und Andreas werden morgen früh weiter in Richtung Rom reisen. Abends habe ich noch meine erste Wohnungsbesichtigung: Ein überteuertes Ein-Zimmer-Apartment direkt an der Universià per Stranieri. Ich verstehe das meiste, was gesagt wird, und mir wird ein Zimmer ab Oktober versprochen, wenn die Handwerker rechtzeitig fertig würden… Das Apartment ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Die Lage stimmt zwar schon, aber eigentlich suche ich ein günstiges WG-Zimmer um ein bisschen besser die italienische Sprache und Kultur kennenzulernen (vielleicht ja sogar, Kochen zu lernen!). Ich bin nicht besonders beeindruckt.
Am nächsten Morgen verabschiede ich die beiden nochmal und wünschen Ihnen viel Spaß und tolle Erfahrungen auf ihrer Reise. Weil ich wider Erwarten schon so früh wach bin, mache ich mich schon vor dem Frühstück wieder an die Arbeit. Wieder keine positiven Rückmeldungen… Nach dem Frühstück antworte ich noch auf ein paar Absagen und schreibe einige Personen an. Diesmal aber erfolgreich! Ein Italiener namens Francesco, dessen Handynummer ich von einem Bekannten aus dem Cusanuswerk bekommen hatte, lädt mich sofort zu einer Besichtigung in seiner WG ein, die gerade mal eine Minute vom Hostel entfernt ist. Es stellt sich heraus, dass er selbst in der 8-Zimmer WG lebt und wohl einmal pro Woche für alle kochen möchte und in der Küche ausschließlich Italienisch gesprochen werden darf. Treffer! Er zeigt mir die einzelnen Zimmer, die bis auf zwei noch zum Einzug zur Verfügung stehen: Eines der Zimmer soll von einer deutschen Erasmus-Studentin bezogen werden, das andere wird gerade von einem Vietnamesen bezogen, der hier ebenfalls Italienisch lernen wird und eine Laufbahn als Koch anstrebt.
Gerade, als Francesco mir den Balkon mit Blick über die Stadt zeigen will, ruft eine andere Deutsche an, die sich auch gerne ein Zimmer in der WG anschauen möchte. Ich sage Francesco, dass er den Anruf auf Lautsprecher stellen soll und ich dolmetsche ein wenig, da sie Probleme hat, die Eingangstür der Wohnung zu finden. Ich kenne die Deutsche bereits, wir hatten uns wie es der Zufall so wollte gerade vor einer halben Stunde im Hostel kennengelernt. Wie witzig. Zur Hilfe bei der Besichtigung hat sie eine Freundin dabei.
Kleiner Zeitsprung drei Stunden in die Zukunft: Wir haben beide ein Zimmer in der WG bekommen und die andere Deutsche, die sich bereits von Zuhause aus ein Zimmer in der WG gesichert hatte, ist ebenfalls gerade angereist. Wir verstehen uns von Anfang an gut miteinander und ergänzen uns wunderbar beim Verstehen von Francescos Erklärungen, wann der Müll abgeholt wird, wann wir Wäsche waschen können und wie er sich sonst so das WG-Leben vorstellt. Alles wunderbar. Am Ende entschließen wir uns, gemeinsam etwas essen zu gehen. Francesco empfiehlt uns das Restaurant Il Bacio, bei dem wir für einen Rabatt nur seinen Namen nennen bräuchten, weil er wohl häufiger dort essen würde — Hat tatsächlich funktioniert.
Wie man sich in Italien einlebt
Nach einer letzten Nacht im Hostel, ziehe ich in mein neues Zimmer ein. Es ist sichtlich mitgenommen von den letzten paar Austausch-Studierenden. Ich starte eine große Säuberungsaktion, besorge neues Bettzeug und einen Teppich für die nahenden kälteren Wintertage auf dem Steinfußboden in der WG mit Energieeffizienzklasse G (Ja, das geht tatsächlich und ist sogar normal hier). Der Raum erscheint jetzt nach wie vor studentisch und ist für die nächsten Monate richtig ausgestattet. Hervorragend. Der Sprachkurs startet unweit des centro storico im CLA, dem Sprachenzentrum der Ausländer-Uni, mit einem Einstufungs-Sprachtest und einer kurzen Begrüßung der Koordinatorin des Erasmus-Programms. Ohne mich wehren zu können, befinde ich mich sofort in der deutschen Erasmus-Blase. Nicht so schlimm, wir brauchen ja nur eine Person, die nicht Deutsch spricht, dann müssen wir ja Italienisch reden, denke ich. Theoretisch stimmt das, aber niemand spricht wirklich gut Italienisch (mich eingeschlossen). Also bleiben wir beim Deutschen und wechseln kontinuierlich ins Englische, sobald eine andere Person hinzukommt. Ein guter Kompromiss für den Moment.
Die nächsten Tage verbringen wir damit, die Stadt und die Region kennenzulernen: Bei einem Ausflug zum Trasimenischen See, der nur eine halbe Stunde mit dem Zug entfernt ist, lernen wir uns dann auch etwas besser kennen. Bei einem Gang zum Markt, der täglich unterhalb der Rocca Paolina stattfindet, sprechen wir mit den Verkäufern und lassen uns Pfirsiche, Trauben und Feigen schenken. Die wissen, wie sie sich treue Kunden machen! Schließlich treffen wir auf den Treppen an der Piazza abends einige Studierende, die sich (tatsächlich ganz freiwillig) mit uns auf Italienisch unterhalten und uns einiges über die Stadt erzählen. Wie es der Zufall so will, sind auch ein paar dabei, die ein Erasmus-Semester in Deutschland verbracht haben und glücklich sind, mal wieder mit jemandem Deutsch sprechen zu können. Jeden Abend lernen wir neue, interessante Leute kennen und kommen zunehmend gut damit zurecht, kontinuierlich zwischen Deutsch, Englisch und Italienisch zu wechseln — je nachdem mit wem wir uns gerade unterhalten.
Facciamo una fiaccolata
Gestern hat der Sprachkurs dann richtig begonnen: In den historischen Hallen der Università per Stranieri beginnt unser Kurs auf dem B1-Niveau. Eigentlich hatte ich (wie auch einige andere Teilnehmende) diesen Kurs schon im letzten Semester an meiner Heimatuni abgelegt, aber Kurse auf höherem Niveau werden hier in den Ferien nicht angeboten. Ich werde mir überlegen, ob ich mit Beginn des Semesters an einem B2-Kurs teilnehmen möchte. Für den Moment ist die Wiederholung der Inhalte des letzten Semesters jedenfalls sehr angenehm: Auch um andere Studierende kennenzulernen, die auf einem ählichen Italiensch-Sprachniveau sind.
Nach dem Kurs haben wir uns zusammen mit einem im Kurs kennengelernten Tübinger Studenten direkt in das Caffè Fortebraccio verzogen um eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. Wir entschließen uns, einen Spaziergang zu einer uns bereits sehr gut bekannten Eisdiele zu machen (Wer hätte gedacht, dass Gorgonzola-Honig-Walnuss-Eis tatsächlich schmeckt?). Wir bekommen mit, dass anscheinend gerade das Polizei-Blasorchester der Stadt auf den Treppen ein Konzert gibt und lassen es uns natürlich nicht nehmen, auch dort vorbei zu schauen: Mit O sole mio, Volare, Con ti partirò/Time to say goodbye und der italienischen Nationalhymne zum Schluss wird kein Ohrwurm ausgelassen. Das Konzert endete jedoch nicht damit, dass die Musiker bloß die Bühne verließen. Plötzlich standen in lange weiße Kleider gehüllte Tänzerinnen auf Stelzen auf der Piazza und es wurden brennende Fackeln an die umherstehenden Personen verteilt. Die Kleider der Tänzerinnen waren mit LEDs gespickt und perfektionierten damit die Szene, die an eine Mischung aus Phantasialand und Mittelalter-Zirkus erinnerte.
Die Masse setzte sich in Bewegung und auch uns wurden Fackeln in die Hände gedrückt. Ein bisschen verwirrt von der skurrilen Situation standen wir da, bis ein dicker Mann mit einem Feuerlöscher auf der Schulter uns dazu aufforderte mitzulaufen oder bitte die Fackeln auszumachen. Und zwar dalli. Da keiner von uns eine Ahnung hatte, wie man eine Fackel auspusten sollte und auch sonst niemand Pläne für den Abend hatte, sind wir mitgelaufen. Nach kurzer Zeit wurde uns die Situation etwas suspekt als an den Straßenrändern Menschen mit Mittelalter-Kostümen erschienen, was die Phantasialand-Assoziation noch verstärkte. Eine Gruppe älterer Damen erklärte uns, dass dies ein jährlicher Fackelumzug (it. la fiaccolata) sei, der an Perugia im Mittelalter erinnern sollte und die Menschen in abgelegenere Gebiete der Stadt führen sollte. Das stimmt tatsächlich: Wir waren inzwischen gut zwanzig Minuten mit der Menschenmasse durch die Gegend marschiert, einem kleinen Wagen folgend, auf dem ein Lautsprecher montiert war, über den mittelalterliche Musik abgespielt wurde. In den umliegenden Gassen wurden mittelalterliche Szenen nachgestellt: Menschen, die Wäsche wuschen, Tücher falteten, ein Würfelspiel spielten. Wir erkannten sogar einen der Schauspieler namens Andrea: Am Tag zuvor hatten wir ihn auf den scalette kennengelernt.
Die fiaccolata endete direkt vor den Toren an der Ausländer-Uni mit einem Spektakel, das genauso gut auf einem Mittelalter-Weihnachtsmarkt hätte aufgeführt werden können. Die leuchtenden Stelzen-Tänzerinnen hatten die Menschenmenge ja schon ganz gut unter Kontrolle; ein Fakir auf Stelzen gab der Menge dann den Rest. Nach dem Ende der mit Feuerwerk unterstützen Show trafen wir erneut auf Andrea. Er lud uns noch ein, mit den anderen Schauspielern Essen zu gehen. Da wir letztendlich allerdings seine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren wollten und auch schon ziemlich müde waren, zogen wir es vor, noch ein Stück Pizza in der Nähe der Piazza zu essen und uns dann zu verabschieden.
Die nächsten Tage
Die letzte Woche war wirklich aufregend und voller neuer Erfahrungen und Bekanntschaften. Eigentlich viel zu viel für eine einzige Woche. In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich Perugia und Umbrien besser kennenlernen; einen Besuch der Museen der Stadt vertage ich jedoch ersteinmal bis auf Weiteres auf kältere und regnerischere Tage. Ich arbeite noch an einer Liste mit Orten in Italien, die ich vor meiner Rückkehr im Frühjahr gesehen haben will. Vielleicht starte ich am Wochenende noch einen Ausflug in eine andere Stadt, mal sehen. Der Sprachkurs, der jede Woche von Montag bis Donnerstag stattfindet, würde jedenfalls noch ein paar verlängerte Wochenenden erlauben. Morgen will Francesco für uns kochen: Mal schauen, wie gut er kochen kann. Es bleibt spannend.